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letzte Änderung:03.01.2011
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Eine austauschbare Figur

(Frankfurter Rundschau, 13.9.'01)

Die Politik muss mehr tun, als einzelne Täter zu jagen

Alle Politiker sind sich einig, dass es bei der Bekämpfung des Terrorismus zum Schulterschluss der zivilisierten Welt kommen muss. Auch die erschreckte Öffentlichkeit erwartet Taten der staatlichen Sicherheitsorgane. In dieser Situation hätte das wahrscheinliche Ziel der einsetzenden globalen Hetzjagd Osama bin Laden erfunden werden müssen, gäbe es diese Person nicht wirklich. Dieser Mann inszeniert sich auf der Folie der Medien seit Jahren mit erstaunlichem Erfolg als Feind der USA und Gewaltverherrlicher. Er ist außerhalb der Welt der dominierenden Industriestaaten zu einer mythischen Gestalt geworden, die diffuse politische Ziele mit ultimativer Gewalt verfolgt, vergleichbar mit dem Mythos Che Guevaras weltweit vor über 30 Jahren.
Indem man nun bin Laden jagt, gibt man vor, den Terrorismus zu bekämpfen. Dabei geraten die Ursachen von Terrorismus völlig aus dem Blickfeld, weil eine Beschäftigung mit ihnen die scheinbare Klarheit der unmittelbaren politischen und leider wahrscheinlich auch militärischen Reaktion stören würde. Mehr noch, man fragt nicht nach den gesellschaftlichen Bedingungen, in denen sich eine solche multinationale Operation effizienten Terrorismus entfalten konnte. Es ist dabei unbedeutend, wie die Personen, wie auch immer bewaffnet, in die vier Flugzeuge gelangen konnten. Denn es ist eine Illusion, dass man absolute Sicherheit technisch organisieren kann. Im Wettlauf mit den unbegrenzten Möglichkeiten terroristischer Entschlossenheit wird man immer Verlierer sein. Letztlich basiert Sicherheit immer auf einem gesellschaftlichen Konsens.
Auch wenn der aktuelle Diskurs darauf hinaus läuft, die Akteure dieses Terrorakts als verrückt einzustufen, muss man sorgfältig nach den politischen Zielen fahnden, wie verwirrt und verzerrt sie auch sein mögen. Denn Terrorismus ist der Einsatz unberechenbarer Gewalt zur Erreichung eines politischen Zieles. Er ist die fatale Fortsetzung eines gescheiterten oder unmöglichen politischen Dialogs. Insofern hat Terrorismus immer eine gesellschaftliche Basis, ohne die er nicht operieren kann.
Nach den wenigen Fakten, die bislang bekannt sind, muss der 11. September das Werk einer außerordentlich leistungsfähigen, transnational operierenden Organisation gewesen sein. Außerdem muss der ideologische Zusammenhalt der Angehörigen dieser Organisation so groß sein, dass sie offensichtlich nicht unterwandert werden konnte. Weiterhin müssen die politischen Ziele mit quasi-religiösen Vorstellungen verknüpft sein, auf deren Grundlage gezielt qualifiziertes Personal für Selbstmordoperationen abgerufen werden kann.
Jedem steuerzahlenden Bürger stellt sich natürlich die Frage: Sind die riesigen Summen, die für geheimdienstliche Tätigkeiten aller Art ausgegeben werden, überhaupt sinnvoll, wenn es dem größten Sicherheitsapparat der Welt über Jahre nicht gelingt, bin Laden dingfest zu machen und ihn so in weiten Teilen der Welt zu einem Mythos des Widerstandes gemacht hat? Eine plausible Erklärung für dieses Versagen der Geheimdienste ist der Opportunismus solcher Organisationen. Seit Ronald Reagan den Krieg der Sterne bzw. die absolute Raketenabwehr auf die politische Agenda Amerikas gesetzt hat, sind Begründungen für dieses Projekt gefragt. Entsprechend konzentrieren sich die Aufklärungsdienste auf Schurkenstaaten und die ihnen unterstellten staatsterroristischen Absichten. Da gemeinhin unterstellt wird, dass Terroristen eine logistische Basis benötigen, um international tätig zu werden, schien die ausschließliche Schurkenstaatenbeobachtung ein angemessener Fokus zu sein.
Im Folgenden sollen mögliche Inhalte des gescheiterten Dialogs, der nun mit brutalen terroristischen Mitteln fortgesetzt wird, ausgeleuchtet werden. Dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit weltgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die offensichtlich eine operative Basis für Terrorismus sind. Zunächst gilt es sich zu verdeutlichen, dass die gegenwärtige Form wirtschaftlicher Globalisierung an den Interessen einer Mehrheit der Weltbevölkerung vorbeigeht. Die unerbittliche Polarisierung der individuellen Einkommen, die strukturelle Unfähigkeit, Hunger auf der Welt zu überwinden und schließlich die Erosion von Staatlichkeit und die zunehmende Bedeutung von Gewalt als Regulativ wirtschaftlicher Aktivitäten, die häufig zu kriegerischen Aktivitäten eskaliert, sind untrügliche Indikatoren. Eine dramatische Zuspitzung erfahren diese Entwicklungen in der weltweiten Jugendarbeitslosigkeit, die in vielen Ländern weit mehr als die Hälfte der nachwachsenden Generationen betrifft, die ihr Leben in informellen und kriminellen Sphären organisieren müssen. Ein realistisches politisches Projekt, das Perspektiven bietet, diese katastrophale intergenerationelle Apartheid zu überwinden, ist nicht in Sicht.
Gleichwohl ist die ausgeschlossene Mehrheit der Weltgesellschaft medial mit der Welt des Massenkonsums der Wohlstandsgesellschaften ständig konfrontiert.
Kriminelle Tätigkeiten sind der Zugang zu dieser Welt. Alternativ kann man diese Welt auf der Grundlage religionsähnlicher Ideologien verteufeln und ihre Abschaffung zu einer irregeleiteten Aufgabe stilisieren. Bevor solche Ideologien wirkungsmächtig werden können, steht jedoch immer die Hoffnungslosigkeit und die konkrete Erfahrung des Ausschlusses aus der medial ständig präsenten Welt des Wohlstandes.
Einen Diskurs zur Überwindung dieses Zustandes gibt es nicht. Vielmehr hat die Wohlstandsgesellschaft einerseits das Ende der Geschichte und damit die Zementierung des gegenwärtigen unerträglichen Zustandes erklärt und zugleich die unausweichliche kriegerische Konfrontation mit jenen Teilen der Welt, in denen die große Mehrheit der Ausgeschlossenen lebt.
Die vorherrschende ideologische Verknüpfung von neoliberaler Wirtschaftsdoktrin und Demokratie schafft ein Klima, in dem sich zunehmend verzweifelte, gleichwohl aber ungeeignete Ideologien alternativer Gesellschaftsformen entfalten, die regelmäßig ein Lösungsmuster mit religiösen Elementen einschließen. Ein Jenseits ist die Folie, auf der solche Utopien ihre Heilsformel entwickeln. Dadurch werden Maßstäbe rationalen politischen Handelns relativiert und öffnen den Prozess eines bis zu seiner Auflösung eskalierend konfrontativen politischen Diskurses.
Wenn man zu dieser Zustandsbeschreibung hinzufügt, dass sich parallel zum gegenwärtigen Globalisierungsprozess viele dynamische internationale Netzwerke krimineller Ökonomie entwickelt haben, die angesichts der deregulierten Finanzmärkte leistungsfähig sind, über große finanzielle Ressourcen verfügen und global operieren, dann wird deutlich, dass es zur Organisation einer terroristischen Gruppe mit großer Leistungsfähigkeit nicht des Vermögens eines bin Laden bedarf. Vielmehr sind die objektiven gesellschaftlichen und die wirtschaftlich organisatorischen Bedingungen gegeben, die die Figur des bin Laden austauschbar machen. Daher setzt eine wirkungsvolle Bekämpfung des Terrorismus ein Verständnis für die gesellschaftlichen Verhältnisse voraus, die diesen Terrorismus auch weiter hervorbringen werden, wenn die Zelle des bin Laden längst ausgehoben ist. Daher muss sich die Politik darauf konzentrieren, wieder dialogfähig mit jenen Menschen zu werden, die weltgesellschaftlich ausgeschlossen sind. Dies setzt aber voraus, dass nicht Wirtschaftsordnungen, sondern die Lebens- und häufig die Überlebensperspektive der Menschen Priorität haben.