Dr. Peter Lock
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last updated:03.01.2011
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Anlage und Unterhaltung von Streuobstwiesen

Problemstellung

Streuobstwiesen sind Naturschutz, der die Natur mit den Menschen und nicht vor den Menschen schützt. Dieser Naturschutz basiert auf der Einsicht, dass die ausdifferenzierten Ökotope in Europa nicht vermeintlich ursprüngliche Natur sind, sondern nahezu sämtlich direkt oder mittelbar als Kulturfolgeökotope traditionaler Landnutzung entstanden sind. Erst die enorme Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft seit etwas mehr als hundert Jahren hat die Vielfalt der Kulturfolgeökotope zerstört, deren näherungsweise Rekonstruktion integraler Teil der Naturschutzarbeit geworden ist.

Bei Projekten zum Erhalt oder Neuanlage von Streuobstwiesen stellt sich die Frage, wie man Pflege und Betreuung auf Dauer sicherstellen kann. Auf Dauer sicherstellen bedeutet, dass man sich eingesteht, dass Streuobstwiesen als Mehrgenerationsprojekte angelegt sein müssen. Dies gilt in besonderem Maße. wenn es sich um eine neue Erstpflanzung handelt. Nur in Ausnahmefällen wird man hierfür auf eine institutionelle, steuerfinanzierte Sicherung der Pflege mit dem notwendigen Zeithorizont rechnen können. Daher müssen zivilgesellschaftliche, sich wirtschaftlich selbst tragende Organisationsformen zur langfristigen Pflege und Nutzung von Streuobstwiesen entwickelt werden. In vielen Regionen kann man dabei nicht (mehr?) an Traditionen der Selbstversorgung mit Obst, Most und Bränden anknüpfen. Wenn es sie dort gegeben hat, so sind sie längst vergessen. Es müssen vor allem in der Umgebung von städtischen Lebensräumen völlig neue Organisationsformen entwickelt und getestet werden, die den mehr oder weniger urbanisierten Lebenswelten angepasst sind.

Die besondere Schwierigkeit bei Neuanlagen ist der lange Zeitraum zwischen Erstpflanzung von Hochstammbäumen und ersten nennenswerten Erträgen. Die ursprüngliche Begeisterung für ein Projekt wird auf eine schwere Belastungsprobe gestellt und ist eine Herausforderung für die Konzeption eines stabilen, langfristig tragfähigen Organisationsmodells.

Streuobstprojekte können ein Bündel unterschiedlicher Zielsetzungen erfüllen. Entsprechend ihrer jeweiligen sozialen Einbettung können die Ausrichtungen daher sehr verschieden sein. Sie reichen von reservatartiger Pflege dieses Ökotops mit z.B. vorrangig ornithologischer Zielsetzung, über ästhetische Landschaftsökologie mit dem Ziel, kommunalem Erholungswert zu schaffen, hin zu pädagogischen Musteranlagen und sozialen Projekten zur Selbstversorgung mit gesunden Lebensmitteln. Welche konkrete Zielsetzung auch immer im Vordergrund steht, in jedem der Fälle stellen Streuobstwiesen eine bedeutende landschaftsökologischen Aufwertung unserer Lebenswelt dar. Daher lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie man die Bildung von Projektgruppen konzipieren könnte, damit sich Menschen dafür engagieren und sie dann auch den notwendigen langen Atem entwickeln.

Projektvariante

Aus eigener Erfahrung mit der Neuanlage einer Streuobstwiese (1994) erscheint es mir unrealistisch, Gruppen Freiwilliger aus urbanen Lebenswelten zu finden, die in räumlicher Nähe zu ihrem Wohnumfeld ein Streuobstprojekt initiieren und durchhalten, bis eine attraktive Selbstversorgung als "Entschädigung" für das Engagement in den Bereich des Möglichen rückt. Außerdem sollten Streuobstwiesenprojekte grundsätzlich als Vorhaben für "die ganze Familie" konzipiert werden, also vor allem auch für Kinder attraktiv sein. Es stellt sich die Frage, wie kann sich eine Gruppe in den ersten zehn Jahren "belohnen" und motivieren, bis ein gewisser Obstertrag zur Selbstversorgung diese Funktion übernimmt. Eine Möglichkeit ist z.B. die gleichzeitige Neuanlage eines Teiches auf dem Gelände. Sie ermöglicht intensive Naturbeobachtung, auch für Kinder, denn Amphibien bevölkern in aller Regel einen neu angelegten Teich in spätestens zwei oder drei Jahren. Eine andere Möglichkeit ist die Verknüpfung mit Tierhaltung in kleinem Maßstab (Schaf, Ziege, Gans). Sie macht ein Projekt für Kinder interessant.

Eine Projektvariante möchte ich zur Diskussion stellen. Angeregt zu dieser Überlegung hat mich einerseits die Geschichte des Übergangs vom Ackerobstbau auf niedrigstämmige Bäume, wie sie für Teile Baden-Würtembergs in der Literatur beschrieben wird, und andererseits der Bericht von einem offensichtlich erfolgreichen Projekt einer Obstwiese auf Rügen mit breiter Beteiligung, über das im Jahresheft 2007 der Pomologen-Vereins (Lutz Grope, Die etwas andere Streuobstwiese auf Rügen S.62-69) berichtet wird. Meine Variante läuft auf eine Pflanzung von Hochstämmen mit den für Streuobstwiesen typischen Abständen hinaus und gleichzeitige Zwischenpflanzungen von Bäumen auf schwachwachsenden Unterlagen, die bereits nach wenigen Jahren Erträge zur Selbstversorgung ermöglichen. Sobald die Hochstämme die Ertragsphase erreicht haben, wären die Zwischpflanzungen dauerhaft zu roden. Die Pflanzung von schwachwachsenden Bäumen ermöglicht auch für Kinder ein emotionale Beteiligung an solchen Projekten. Denn drei Jahre sind für Kinder ein vorstellbarer oder besser handhabbarer Zeitraum als die sieben bis zehn Jahre eines normalen Hochstammes. Ich kann mir vorstellen, dass man durch eine gemischte Bepflanzung mit Hochstämmen in großen Abständen und zusätzlich dazwischen mit schnell Ertrag bringenden Sorten auf schwach wachsenden Unterlagen das Motivationsloch, nicht nur bei Kindern, bis zum hinreichenden Ertrag auf Hochstämmen überbrücken kann.

Daher möchte ich anregen, seitens des NABU oder des Pomologenvereins Modellprojekte zu konzipieren und auszuloben, die testen sollen, ob man soziales Engagement zur dauerhaften Unterhaltung und Pflege von Streuobstwiesen befördern kann, indem man flexible Zielsetzungen in Projekte einbaut, die eine "kontinuierliche familienbezogene Belohnung" für Betreuergruppen erlauben. Letzteres scheint mir dringend geboten, denn ich kenne in Norddeutschland verschiedene Projekte, die vor Jahren auf kommunaler Ebene mit großem Elan begonnen wurden, aber sich inzwischen in einem eher trostlosen Zustand befinden, weil sich keine engagierte Betreuungsgruppe herausgebildet hat. Phantasie und Kompromisse sind angesagt!