Dr. Peter Lock
European Association for Research on Transformation e.V.

Kriege und Gewalt im Schatten der Medien oder die Veralltäglichung kriegerischer Gewalt als Regulation neoliberaler Globalisierung

Weltgesellschaftliche Rahmenbedingungen

Die seit drei Jahrzehnten vorherrschende marktradikale Ideologie ökonomischer Regulation untergräbt weltweit systematisch die soziale Kohäsion von Gesellschaften. Die Eigengesetzlichkeiten neoliberal deregulierter Globalisierung produzieren unaufhaltsam chaotische Zustände, die sich in zu bislang nicht gekannten Einkommenskonzentrationen[1] und sich ausbreitenden Strukturen sozialer Apartheid spiegeln. Die alternativlose Zukunft für die große Mehrheit junger Menschen in weiten Teilen der Welt führt in die Lebenswelten informeller Ökonomien in städtischen Räumen. Der jüngste Bericht von UN-Habitat[2] schätzt, dass weltweit 85 % aller neu geschaffenen Arbeitsplätze im informellen Sektor liegen. Dort aber bieten sich in vielen Ländern einer wachsenden Zahl junger Menschen keinesfalls regelmäßige Arbeitsplätze. Schreibt man diese Entwicklung fort, so wird Informalität zum dominanten Strukturmerkmal der Weltgesellschaft und Sozialstaatlichkeit hingegen zu einer bloßen Reminiszenz an ein sozialdemokratisches Europa im vergangenen Jahrhundert verdammt.

Der Siegeszug neoliberaler Ideologie hat seit den siebziger Jahren, später kodifiziert im sog. Washingtoner Konsens, die Kapazitäten staatlicher Regulierung weltweit gezielt geschwächt. Aber statt des prognostizierten globalen Dorfes mit sich selbst optimal regulierenden Märkten hat sich die Welt durchgängig in ein Labyrint aus ständig neuen Mauern, Zäunen und virtuellen Barrieren mit vielfältigen scharfen sozialen Spaltungen verwandelt, die Menschen ausgrenzen und deren Teilhabe an der neoliberalen Globalisierung bestenfalls auf magere und verbreitet auch skandaleuse Ausbeutungsverhältnisse reduzieren[3].

Diese Entwicklung wird begleitet von schwindender amerikanischer Hegemonie, die ihren gefühlten Höhepunkt mit der Implosion der Sowjetunion erreicht hatte. Bereits vor der Invasion des Irak analysierte Alain Joxe[4] die selbstzerstörerische amerikanische Hegemonialpolitik und interpretierte die Vereinigten Staaten als "Imperium des Chaos", das seinen Niedergang vergeblich mit militärischen Mitteln und unter ständiger grober Verletzung internationaler Menschenrechtsnormen[5] zu verlangsamen sucht. Die Vereinigten Staaten haben ihre nach dem Ende des 2.Weltkrieges gegebene ökonomische Hegemonie längst vernutzt[6], nicht zuletzt weil mächtige Interessengruppen die wirtschaftliche Ordnungspolitik der USA einseitig zu ihren Gunsten instrumentieren und auch vermittels des Internationalen Währungsfonds als globale Regulierungsdoktrin durchsetzen konnten.

Die verbliebene überwältigende militärische Überlegenheit erweist sich als nicht geeignet, zu vertretbaren Kosten[7] hegemonialen Interessen Nachdruck zu verleihen. Es war schon im Kalten Krieg Teil des amerikanischen Selbstverständnisses, als "guter" Hegemon selbst nicht an internationale Normen gebunden zu sein. Extralegale verdeckte Operationen zur Durchsetzung vorgeblicher nationaler Interessen sind, ursprünglich eingebunden in die Ideologie der Systemkonfrontation, verstärkt seit der Präsidentschaft Kennedys, selbstverständlicher Teil des amerikanischen Regierungshandelns. Aber nach dem 11. September 2001 kam es zu einer erheblichen Aufstockung von diversen Geheimdiensten und Spezialeinheiten der Teilstreitkräfte für verdeckte Operationen. Die Federführung dieses Ausbaus liegt nicht länger beim eigentlich zuständigen State Department, sondern das Pentagon ist inzwischen zum bestimmenden Akteur der amerikanischen Außenpolitik[8] geworden. Von den verdeckten Operationen dieser unübersichtlichen, parlamentarisch kaum kontrollierten Agenturen der Sicherheitspolitik gelangt kaum etwas in die Öffentlichkeit. Wahrscheinlich zur Abschreckung prahlt man allerdings gelegentlich mit erfolgreichen Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren von vorgeblichen Terroristen durch den Einsatz von ferngesteuerten Drohnen unter Verletzung der territorialen Souveränität anderer Staaten. Seit der Regierung Bush-Cheney beanspruchen die USA einseitig das Recht auf militärische Intervention nicht länger nur verdeckt, sondern haben es angesichts der behaupteten Bedrohung durch Terrorismus zur Regierungsdoktrin erklärt. Das Recht auf Selbstverteidigung wurde mit der manipulativen Figur des Terrors zur Folie beliebiger, offen deklarierter militärischer Intervention erweitert.

Diesen weitgehend in medialer Finsternis verborgenen Teil des veränderten Weltgeschehens müssen wir in den Blick nehmen, um die komplexe Vielfalt im niedergehenden Imperium des Chaos besser zu verstehen. Dabei müssen wir alle gewonnenen Einsichten irrtumsoffen vorantreiben und im Diskurs anderen Meinungen sorgfältiges Gehör bieten. Ausgestattet mit diesem Arbeitsprinzip soll im Folgenden versucht werden, Kriege und bewaffnete Gewalt im Schatten der Medien auszuleuchten.

Das politische und mediale Prisma verstellt den Blick auf die Wirklichkeit

Viele Dimensionen von Kriegen und Gewalt werden von den Medien nicht ausgeleuchtet. Gründe hierfür sind vielfältig: Zensur, Selbstzensur, Geheimhaltung, Unzugänglichkeit des Geschehens, mangelndes Interesse an den Orten und sozialen Räumen des Geschehens, neue und verdeckte Kriegshandlungen, mittelbare Auswirkungen, die zu verdrängen entweder politisch opportun[9] ist oder die schwer zu zuzuordnen sind. Um Licht in dieses Dunkel zu bringen, ist es zunächst notwendig, das Vokabular politischer Diskurse, die auf die Legitimation von Kriegen und Gewalt zielen, ideologiekritisch zu durchleuchten.

Die zentrale Vokabel, mit der derzeit politische Angstdiskurse gespeist werden, lautet Terrorismus. Sie suggeriert eine totalitäre Disposition des imaginierten Gegners, gegen die man sich letztlich nur wehren kann, wenn man das eigene Handeln ebenfalls nicht durch Einhaltung rechtlicher Normen einschränkt. Aus dieser Eskalation vorantreibenden Falle, die dem allgemeinen Begriff Terrorist[10] eigen ist, kann man sich nur befreien, wenn man die Vokabel Terrorist gänzlich meidet und stattdessen Menschen in Augenschein nimmt, die terroristische Akte begangen haben oder sie durchzuführen beabsichtigen und nach ihren Motiven sucht. Zunächst gilt, dass diese Menschen immer ein politisches Ziel verfolgen, dessen Inhalt man rekonstruieren muss, um jenseits der alttestamentarischen Falle des "Auge um Auge und Zahn um Zahn" strategisch auf eine Bedrohung reagieren zu können. Denn auf ein politisches Ziel und mag es noch so verblendet sein, gibt es immer eine politische Reaktion, die Haltungen verändern und Gewalt eindämmen kann. Leider haben sich politische Diskurse über Terror, vor allem in den USA, im alttestamentarischen Denken verfangen.

Auf das legitime Bedürfnis nach Sicherheit reagieren Politiker mit dem fatalen Versprechen, gegen jede vorgestellte Gefahr Vorkehrungen zu treffen. Wird dann ein Gegner als terroristischer Akteur begriffen, werden häufig rechtliche Normen schon bei der Durchführung präventiver Abwehrhandlungen außer Kraft gesetzt. Auf diese Weise produzieren die vorherrschenden Diskurse über die umfassende Versicherheitlichung der Gesellschaft notwendig konfrontative Strukturen, die politischen Lösungen entgegen stehen. Dies erklärt die zähe Unfähigkeit der politischen Akteure, die Kriege im Irak und Afghanistan zu einem Ende zu bringen. Das vorherrschende Syndrom der Versicherheitlichung verhindert, eine zeitliche und räumliche Begrenzung der Kriege zu denken, ohne darin sofort weitere neue Gefahren zu erkennen.

Die Weltöffentlichkeit war in den Irakkrieg umfassend, von den US-Streitkräften kontrolliert "eingebettet" worden. Die Vernebelung der hässlichen Seiten der Invasion und Besatzung gelang. Die Medien begnügten sich überwiegend mit der selektiven Inszenierung von Kriegsgeschehen, die von den "eingebetteten" Journalisten ereignisnah dokumentiert wurde. Um die Folterpraktiken in Abu Graib aufzudecken, bedurfte es zufälliger Funde aus privater Kommunikation amerikanischer Soldaten. Schließlich erwuchs daraus eine mediale Gegeninszenierung auf arabischer Seite. Das Kriegsgeschehen blieb dennoch weitgehend verborgen. So konnte die gegen allen Rat von Präsident Bush betriebene Erhöhung der Kampftruppen und die vorgeblich neue Aufstandsbekämpfungsstrategie (counterinsurgency) des Generals Petraeus auf der Washingtoner Bühne als erfolgreich und zukunftsweisend dargestellt werden, obwohl die entscheidende Veränderung darin bestand, 100 000 Kämpfer des schärfsten Gegners als von den USA besoldete Miliz "einzukaufen"[11]. Diesen Aspekt des vorgeblichen Erfolges der neuen Doktrin à la Petraeus hat der "eingebettete" Journalismus nicht herausgearbeitet.

Obwohl in den Medien auch im zehnten Jahr des Krieges (für Afghanen ist es eher bereits das dreißigste Kriegsjahr!) umfangreiche Berichte über Afghanistan präsentiert werden, bleibt das Kriegsgeschehen weitgehend im Dunkeln. Das liegt auch daran, dass wegen der flächendeckend prekären Sicherheitslage kaum unabhängige Berichterstattung möglich ist. Wichtiger aber ist, dass die Medien von allen militärischen und zivilen Akteuren in diesem Krieg mit unvollständigen, zensierten und gezielt manipulierten Informationen gespeist werden. Auch hier wird der vor Ort in die NATO-Truppen "eingebettete" und damit zensierte Journalist längst als legitime Quelle akzeptiert.

Es macht auch keine Schlagzeilen, dass sich im Irak und Afghanistan mehr Personal von privaten Militärfirmen befindet, das Aufgaben im Auftrag der amerikanischen Interventions- bzw. Besatzungsregime wahrnimmt, als Soldaten der amerikanischen Streitkräfte. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2010 hat sich dies erstmals in einer höheren Zahl getöteter Mitarbeiter von privaten Militärfirmen gegenüber getöteten Soldaten niedergeschlagen. Inzwischen weiß man, dass 44 000 private "Soldaten" seit 2001 in Afghanistan und im Irak schwer verwundet worden sind. Für die US-Streitkräfte wird die Zahl von 40 000 angegeben[12]. Die systematische Verschleierung und Manipulation von Informationen über den Krieg macht schließlich die Aufregung verständlich, die mit der Veröffentlichung vertraulicher Kommunikation des amerikanischen Regierungsapparates zum Krieg in Afghanistan durch Wiki-leaks verbunden war.

Ein besonderer Schwachpunkt der Berichterstattung über den Krieg in Afghanistan ist die fehlende Einordnung der NATO-Intervention in die dort existierenden sozial-ökonomischen Verhältnisse. An dieser Stelle nur ein Beispiel: Das Missverhältnis zwischen den Parametern der westlichen militärischen Intervention und den gesellschaftlichen Zuständen in diesem Land wird offenkundig, wenn man sich veranschaulicht, dass allein die Bezahlung der Fuhrunternehmen, die den Transport des gesamten Nachschubs über die gefährlichen Straßen Afghanistans und Pakistans durchführen, über 2 Mrd. US-Dollar ausmacht, was etwa einem Sechstel des Bruttoinlandsproduktes Afghanistans entspricht[13]. Allein mit dieser Summe, einem kleinen Bruchteil der Kosten des NATO-Einsatzes, könnten wahrscheinlich alle benötigten Schulen gebaut und der Betrieb finanziert werden.

Schwerwiegender ist es jedoch, dass sowohl die mittelbaren Folgen der Anwesenheit über viele Jahre von hunderttausenden kulturfremden militärischen Besatzern und zivilen Helfern als auch die Veränderung der sozialökonomischen Struktur des Invasionsraumes durch die infrastrukturellen Anforderungen der Besatzungstreitkräfte (Straßen, Flugplätze, riesige Militärbasen etc.) einschneidende Auswirkungen auf die Sozialstruktur haben, die weitgehend unbeachtet bleiben. Kurzgefasst: Invasionen von Soldaten und/oder Helfern sowie hochbezahlten Experten führen zu masssiver Verstraßung des besetzten Raumes, die eine Veränderung der Agrarstruktur[14] auslöst und im Gefolge zu sozialen Umbrüchen führt. Dies wird wird von einem weltweiten Trend hin zu agrarindustrieller Landnutzung beschleunigt, die kleinbäuerliche Lebenswelten marginalisiert und in den Kosmos urbaner Informalität abdrängt. Auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten fließt spekulatives Kapital in den Aufkauf von landwirtschaftlichen Nutzflächen[15] in großem Maßstab, vor allem in der Dritten Welt.

Die zivilen und militärischen Invasoren binden durch höhere als landesübliche Bezahlung einen großen Tross qualifizierter lokaler Kräfte an sich, die im Falle Afghanistans dem Aufbau des Landes nunmehr beinahe schon ein Jahrzehnt entzogen bleiben. Im Falle eines absehbaren sieglosen Rückzuges der NATO werden sehr viele dieser lokalen Kräfte um politisches Asyl in den Ländern ihrer gegenwärtigen Arbeitgeber nachsuchen müssen.

Schließlich induzieren langanhaltende militärische Besatzung und gut bezahltes Personal internationaler Organisationen mehr oder weniger offen eine flächendeckende "Verpuffung" (Bordellisierung) des besetzten Raumes. Diese Begleiterscheinung internationaler Missionen wird in der Berichterstattung generell übergangen[16]. Nicht selten dauert es Jahrzehnte bis dieses Gesicht von militärischer Besatzung nicht länger geleugnet und schließlich dokumentiert[17] wird.

Aber auch hier ist heute der Medienschatten asymmetrisch. Wenn Kriegsparteien in bewaffneten Konflikten, die Anlass westlicher Interventionen sind oder werden, sexuelle Gewalt als Kriegsmittel benutzen, dann nimmt dies zu Recht in der medialen Aufbereitung breiten Raum ein. Die Intensität, mit der sexuelle Gewalttaten aufgegriffen werden, hat auch mit dem instrumentellen Nutzen der breiten Empörung zugunsten eines Eingreifens durch die VN, NATO oder EU zu tun. Für die humanitäre Industrie eröffnet sich ein spendenträchtiges Arbeitsfeld, für die Streitkräfte eine existenzsichernde politische Debatte über Intervention. Dagegen fehlt es an einem Diskurs über die vielfältigen kontraproduktiven Auswirkungen der unweigerlichen Begleiterscheinungen langanhaltender kulturfremder Besatzungsregime, wie Verstetigung einer für die Dauer der Besatzung privilegierten Dolmetscher- und Dienstleistungkaste, wobei der Bereich Prostitution gänzlich beschwiegen wird.

Ein anderer Blick auf die globalisierte Ökonomie

Staatliches Monopol legitimer Gewalt, öffentliche Infrastruktur, die Bereitstellung öffentlicher Güter und Rechtsstaatlichkeit gelten als selbstverständliche Attribute eines demokratischen Staates. Für die konsensuale Organisation solcher Staatlichkeit ist die Bereitschaft aller Bürger unverzichtbar, angemessen Steuern zu zahlen. Außerdem muss Einvernehmen darüber bestehen, soziale und weltanschauliche Verschiedenartigkeit zu akzeptieren. Neoliberale Ideologien untergraben diese Basisformel mühsam errungener demokratischer Staatlichkeit. Sie wird als Zielvorgabe gegenüber der Dritten Welt eingefordert. Die aktuelle Sprachregelung lautet "gute Regierungsführung". Im Widerspruch hierzu steht die gleichzeitig aufgeherrschte neoliberale Ordnungspolitik. Sie verhindert, dass die für den Aufbau demokratischer Staatlichkeit notwendigen Steuern[18] aufgebracht werden können und stellt eine ökonomische Schranke dar, die Attribute demokratischer Staatlichkeit zu generieren.

Das Bruttosozialprodukt ist wenig geeignet, gesellschaftliche Verhältnisse abzubilden. Hierzu wäre es vielmehr notwendig eine Messgröße zu entwickeln, die etwas über die Verteilung der Einkommen und deren tatsächlich Wohlfahrt stiftende Verwendung aussagt. Zumal das Bruttosozialprodukt mangels umfassender statistischer Ermittlung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten lediglich aufgrund einer groben Schätzung festgestellt wird, die nicht zwischen legalen und illegalen Tätigkeiten unterscheidet. Die Messgröße Bruttosozialprodukt bedient vor allem das Informationsinteresse von Kapitalbesitzern.

Jüngst haben während eines Seminars in Potsdam hochrangige Repräsentanten afrikanischer Wirtschaftsorganisationen mit einigem Stolz verkündet, dass die Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts in Afrika als Folge der aktuellen Wirtschaftskrise weit weniger oder überhaupt nicht eingebrochen seien. Diese Tatsache wurde als Beleg für deutliche Entwicklungsfortschritte gewertet. Dabei stehen hinter diesen Wachstumsraten vor allem kapitalintensive extraktive Industrien, die aktuell vergleichsweise hohe Preise für ihre Produkte erzielen. Afrika ist dank der Rohstoffpreishausse wieder in den Fokus internationaler Konzerne gerückt[19]. Von einer soliden ausbaufähigen Entwicklung, die den Menschen Beschäftigung bringt, kann aber keine Rede sein. Für die große Mehrheit der Bevölkerung bleibt dieses Wachstum weitgehend irrelevant und wirkt kaum wohlfahrtsfördernd. Schlimmer noch, neuere Schätzungen besagen, dass allein im Jahre 2008 zwischen 30 und 43 Milliarden Euro Afrika illegal entzogen wurden, die aber statistisch als Teil des wachsenden Bruttosozialproduktes erfasst sind, eine Summe, die die offizielle Entwicklungshilfe bei weitem übersteigt[20].

Derartige Erscheinungen sind jedoch keineswegs auf Afrika beschränkt, sondern eher strukturtypisch für die aktuelle Phase weltwirtschaftlicher Entwicklung. Insgesamt wird der illegale Abfluss von Geldern aus der Dritten Welt auf mehr als 750 Milliarden Euro geschätzt. Ein wichtiger Mechanismus ist überpreiste Rechnungstellung durch multinationale Konzerne, die dadurch Gewinne in Steueroasen verlagern. Für Spitzenreiter China schätzt man, dass deutlich über 200 Milliarden Euro auf diese Weise abfließen. In der Tabellle illegaler Kapitalflucht folgen Saudi Arabien, Mexico, Russland und Indien auf den nächsten Rängen[21].

Ein sehr viel anschaulicheres Bild der globalen Ökonomie unter der gegenwärtigen Regulation gewinnt man, wenn man sie als in drei miteinander verwobene Sektoren abbildet. In allen Volkswirtschaften lassen sich drei unterschiedlich regulierte Wirtschaftssphären voneinander abgrenzen, die ihrerseits jedoch symbiotisch miteinander verknüpft sind. Die eingeforderte gute Regierungsführung ist auf den regulären Sektor der Wirtschaft angewiesen. Im regulären Sektor werden durch Steuererhebung die Mittel zur Reproduktion des Staates erbracht, der seinerseits unverzichtbare öffentliche Güter bereitstellt und einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für wirtschaftliche Tätigkeiten garantiert. Daneben gibt es den informellen Sektor, der außerhalb der staatlichen Regulation fungiert und daher nur unwesentlich zur Reproduktion des Staates durch Steuerzahlung beiträgt. Er ist geprägt von Unsicherheit und asymmetrischen ungleichen Tauschverhältnissen. Alle Kontrakte werden informell ausgehandelt und abgewickelt. Ein Rückgriff auf Sanktionen des Rechtsstaates zur Erzwingung der Einhaltung von Kontrakten ist nicht möglich. Der informelle Sektor ist ein Käufermarkt, er kann die Bedingungen diktieren. Die dritte wirtschafltiche Sphäre ist der kriminelle Sektor, in dem Transaktionen auf der Grundlage der glaubhaften Drohung mit Gewalt gegen Güter und Menschen abgewickelt werden. Für die kriminellen Akteure ist es jedoch unverzichtbar, die kriminell angeeigneten Güter, Dienstleistungen und Gelder in Wert zu setzen, was nur durch Rückschleusung in die reguläre Ökonomie möglich ist. Daher sind kriminelle Unternehmer immer doppelgesichtig. Ihr Erfolg misst sich an ihrer Fähigkeit, sich auch in der regulären Ökonomie unternehmerisch bewegen zu können.

Analysiert man nationale Volkswirtschaften im Hinblick auf die relative Größe der drei Sektoren, so wird rasch deutlich, dass in einer großen Zahl von Ländern die Voraussetzungen für die von der OECD-Welt eingeforderte "gute Regierungsführung" nicht gegeben sind. Denn die große Mehrheit (über)lebt dort im informellen Sektor, der seinerseits gewaltoffen, weitestgehend ohne staatlichen Schutz, dem kriminellen Sektor ausgeliefert ist. In sehr vielen Ländern ist der reguläre Wirtschaftssektor erheblich kleiner als die beiden komplementären Sektoren. Somit bestimmen die Gegebenheiten im informellen Sektor die Lebensverhältnisse der großen Masse der Bevölkerung. Die Entwicklungsmöglichkeiten bleiben eingeschränkt, denn das hohe Risiko der kriminellen Aneignung geschaffener Werte lähmt dort zwangsläufig unternehmerisches Handeln und verhindert Investitionen. Das strukturell angelegte Versagen des Staates, Sicherheit und Rechtssicherheit zu organisieren, bedeutet, dass beides jenseits des Staates mehr schlecht als recht von der Gesellschaft anderweitig organisiert werden muss. Die je geringen Einkommen fließen wohlfahrtsmindernd in einen dynamischen Sicherheitswettlauf, der im schlimmsten Falle dahin führt, dass die Akteure des kriminellen Sektors parastaatliche Funktionen[22] übernehmen.

Dieser dreisektorielle Blick auf die globalisierte Ökonomie macht es möglich, jene gesellschaftlichen Formationen zu identifizieren, die strukturell ein großes Risiko gewaltförmigen Konfliktaustrages in sich tragen. Angesichts der systemisch gegebenen symbiotischen Abhängigkeiten der drei Sektoren voneinander lassen sich Hypothesen bilden, warum subtilere Formen des gewaltgestützten Konfliktaustrages häufig an die Stelle kriegerischer Gewalt zu treten scheinen. Überspitzt ließe sich formulieren, höher entwickelte Stadien der ökonomischen Kriminalisierung mindern die Wahrscheinlichkeit kriegerischen Konfliktaustrages[23].

Gesellschaftsstrukturen im Zeitalter des neoliberal regulierten Weltmarktes

Eine gut dokumentierte Auswirkung der herrschenden neoliberalen Regulationsideologie ist eine extreme Konzentration des jeweiligen Nationaleinkommens in Händen einer kleinen Schicht von alten und neuen Milliardären und hunderttausenden neuen Millionären[24]. Der Dritten Welt und dem ehemaligen Einflussbereich der Sowjetunion wird dieser angesammelte Reichtum in großem Umfang durch legale und illegale Kapitalflucht entzogen. In der Summe übersteigt diese Kapitalflucht bei weitem die als Entwicklungshilfe deklarierten Kapitaltransfers. Steueroasen[25] und Operateure, die illegal angeeignetes Geld waschen, sowie Fluchtimmobilien[26] an sicheren Orten sind das Ziel derartiger Kapitalströme.

Die Separierung der Lebenswelten der Spitzengewinner im Zeitalter des Neoliberalismus bildet das Modell für einen voranschreitenden Prozess der räumlichen Fragmentierung von Gesellschaft mit vielfältigen neuen, teilweise auch subtilen Ausgrenzungen. Zu den neuen Grenzen gehören die unglaublichen Sicherheitsmaßnahmen, mit denen die Immobilien der Hyperreichen weltweit geschützt werden. Über London, wo sehr viele der Hyperreichen dieser Welt eine ihrer zahlreichen Domizile unterhalten, wird berichtet, dass die bautechnischen Aufwendungen für die Hightech-Sicherung von Luxusimmobilien bis zu 600.000 Euro betragen. Hinzu kommen die Aufwendungen für Sicherheitsdienste und Personenschützer. Sicherheit und Ab- und Ausgrenzung sind ein boomendes Geschäftsfeld[27].

Der Globus entwickelt sich von oben herab zu einer Kaskade des sozialen Ausschlusses. Das Streben nach totaler Versicherheitlichung verbindet sich mit weltweit voranschreitender Einkommenskonzentration und beschleunigt eine tiefe soziale Fragmentierung der Gesellschaft. Die Hyperreichen haben an bis zu einem halben Dutzend Orte verteilt auf der ganzen Welt ihre Luxusdomizile, darunter ein Domizil in einer Steueroase wie Monaco, bestimmte Schweizer Kantone[28] oder auch auf einer exklusiven privaten Insel. Die wahren Plutokraten reisen mit ihren eigenen palastartig ausgestatteten Großraumflugzeugen, darunter A 380 und bald auch den Boeing 787 Dreamliner[29] sowie Luxusyachten[30]. Die Businesselite in São Paulo fliegt mit dem eigenen Hubschrauber zur Arbeit in das Bankenviertel[31]. Dort wo das nicht möglich ist, bewegt man sich in gepanzerten Luxuslimosinen. Hermetisch abgeschlossene Wohnanlagen und gesicherte Hochhäuser über dem Meer von Armutssiedlungen sind einheitliche Kennzeichen aller "global cities"[32]. Indem Maße, in dem die neoliberale ReguIierungsideologie die Architektur des städtischen Raumes bestimmt, werden öffentliche Räume privatwirtschaftlich gemanagt und versicherheitlicht[33]. Dies verbindet sich mit einer aggressiven Gentrifizierung geeigneter Stadtviertel. Hierzu gehören Zutrittskontrollen, die sich flächendeckend ausbreiten und perspektivisch zu einer biometrisch kontrollierten "Verkastung" der städtischen Wohnquartiere führen werden. Dieser Prozess der Vergrenzung des städtischen Raumes wird sich eigendynamisch entwickeln. Auf jeder Stufe dieser kaskadenartigen sozialen und räumlichen Fragmentierung ist das Lebensgefühl der Menschen von der Angst abzusteigen bestimmt. Die Ab- und Ausgrenzung wird zu einer zentralen Orientierung der Lebensgestaltung, die wohlfahrtsmindernd steigende Teile des Einkommens für Sicherheitsvorkehrungen beansprucht. Dieses Lebensgefühl manifestiert sich indirekt auch in zahlreichen Konsummustern. Als Beispiele seien der unsinnige Hang genannt, in unseren Städten mit allradgetriebenen SUVs (sport utility vehicle)[34] herumzufahren oder der ungeheure Boom des Kreuzfahrttourismus, der für die Mittelklasse das abgeschottete "Unter-sich-sicher-sein" bietet, das die Milliardäre auf ihrer Yacht zelebrieren.

Am unteren Ende dieser Kaskade kommodifizierter Versicherheitlichung beginnt die Sphäre der Schattengesellschaft, deren Armut eine Kommodifizierung ihrer Sicherheit nicht zulässt. UN Habitat schätzt, dass die Schattengesellschaft in den Slums der Städte in den nächsten Jahren auf 1,4 Milliarden Menschen anwachsen wird. Die Sicherheit ist nirgends prekärer, diese Lebenswelten liegen außerhalb der Reichweite staatlicher Vorsorge. Angesichts der Schutzlosigkeit bilden sich auf engsten Räumen Gruppen gleicher Identität, die kommunitär ihr Territorium zu sichern suchen. Aus diesen informellen Anstrengungen, ein wenig Sicherheit zu schaffen, entsteht eine labile horizontale, oft konfrontativ ausschließende Vergrenzung der Slums zwischen sich fortlaufend neu bildenden Gruppierungen. Derartigen Räumen herrschen sich beinahe regelhaft gewaltkriminelle "Paten" auf und etablieren sich als tributpflichtige Ordnungsmacht. Diese Ordnungs- bzw. Machtstrukturen in der Schattengesellschaft haben ein großes Eskalationspotential, denn in der Ausgeschlossenheit und Perspektivlosigkeit der Schattengesellschaft muss kriminelle Betätigung vielen jungen Menschen als Chance erscheinen, ihr Leben zu gestalten.

Aber erst durch kriminelle Geschäftsfelder, die in die reguläre Sphäre jenseits der Schattengesellschaft expandieren, entwickelt sich ein veritabler transnational vernetzter Wirtschaftssektor. Die Kriminalisierung selbst von leichten Drogen bildet eine ökonomische Basis für die Expansion krimineller Netzwerke in andere Geschäftsfelder. Das Geschäftsmodell hat immer das gleiche Grundmuster. Es besteht in der Vermittlung des Austausches zwischen der legalen Wirtschaft und den kriminellen oder oft besser kriminalisierten Beschaffungs- und Vertriebsorganisationen, die ihrerseits bestrebt sind, ihre Gewinne in der legalen Ökonomie zu konsolidieren. Auch Kidnapping und Piraterie zielen auf gewaltgestützte Transaktionen zwischen der regulären Wirtschaft und der kriminellen Sphäre. Die kriminelle Ökonomie ist für die Menschen in der Schattengesellschaft soetwas wie ihre Wall Street[35], mit dem Unterschied, dass die Auslese der Gewinner und Verlierer auf Gewaltanwendung beruht. Hieraus erklärt sich, dass dort, wo die Ausscheidungskämpfe eskalieren oder Polizei- und Militär versuchen zu intervenieren, mehr Opfer zu beklagen sind als in den meisten gegenwärtigen als Kriege gekennzeichneten Konflikten[36].

Eine weitere besonders zynische kriminelle Tauschsphäre zwischen der legalen OECD-Welt und Schattengesellschaften ist der Organhandel, der auf dem Wege ist, zu einem festen Strukturelement des Gesundheitswesens in Ländern zu werden, in denen der Zugriff auf die Körper der Armen unauffällig organisiert werden kann[37].

Die im Hinblick auf bewaffnete Gewalt weitreichendste Folge der durch neoliberale Regulation erzwungenen Öffnung der Märkte ist die voranschreitende Marginalisierung und Vernichtung kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Sie schreitet aktuell aufgrund der großflächigen Landnahme durch spekulatives Kapital beschleunigt voran. Mittelbare Folgen dieser weltmarktorientierten Agrarmodernisierung sind massive Land-Stadt Migration und verstärkt überwiegend illegalisierte Arbeitsmigration in die OECD-Staaten, aber u.a. auch nach Russland und Südafrika. Die Schleusung von Menschen bietet ein weiteres attraktives Geschäftsfeld für kriminelle Unternehmer, das zusätzlich die personelle Basis für transnationale operative Netzwerke[38] außerordentlich erweitert.

In den traditionellen Guerrillaideologien wird die kleinbäuerliche Landwirtschaft als das Wasser dargestellt, in dem sich der revolutionäre Fisch sicher bewegen und verstecken kann. Voraussetzung hierfür war die relative wirtschaftliche Autonomie des Kleinbauern, die Selbstversorgung mit Marktproduktion verbindet. Die neoliberal regulierte Globalisierung hat den Kleinbauern endgültig zu einer beschleunigt aussterbenden Spezies gemacht. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass politisch motivierte bewaffnete Gewalt sowohl auf andere Ressourcen zurückgreifen muss als auch sehr viel stärker destabilisierende Wirkungen zeitigt und sehr schnell umfassende humanitäre Krisen auslöst. Wenn man weiter berücksichtigt, dass zumeist eine Bevölkerungsmehrheit in urbanen Agglomerationen in komplexen und verletzlichen wirtschaftlichen Abhängigkeiten lebt, dann wird deutlich, dass sich die Handlungsschranken für bewaffnete Gewalt, die ein politisches Ziel verfolgt, tiefgreifend verändert haben und weiter verändern. Hierzu werden im folgenden Abschnitt einige Hypothesen zur Diskussion gestellt.

Hypothesen zur Transformation kriegerischer Gewalt im 21. Jahrhundert

Von der neoliberal regulierten Globalisierung geht ein Modernisierungsdruck aus, der die Lebensverhältnisse allgemein dahingehend verändert, dass man immer stärker von einer "just-in-time" Verfügbarkeit seiner "Lebensmittel im weiteren Sinne" vermittelt durch globale Marktprozesse abhängig ist. Störungen der Versorgungslogistik der Märkte, etwa durch kriegerische Ereignisse, lösen Kettenreaktionen aus und können in kurzer Zeit die Lebensgrundlagen aufheben. Dies gilt im besonderen Maße für Lebensverhältnisse in der Schattengesellschaft. Solche Störungen führen sofort zu Preissprüngen und vernichten unmittelbar die Erwerbsgrundlagen der Ärmsten[39]. Sie kommen einem Herzstillstand gleich, bei dem jegliches "entitlement (A.Sen)" auf Ernährung verloren geht. Modernisierung bedeutet verminderte Autonomie und gesellschaftlich eine stark verringerte Elastizität der gesellschaftlichen Reproduktion bei logistischen Störungen der Warenströme, das Überleben abzusichern. Es ist also zu fragen, welche Auswirkungen hat das veränderte Habitat auf kriegerische Gewalt im 21. Jahrhundert?

Zwei widersprüchliche, jeweils eigendynamische Tendenzen sind kennzeichnend für die unterschiedlichsten Lebenswelten im 21. Jahrhundert. Sie verändern die Wirkmöglichkeiten, Interessen mit Gewaltmitteln durchzusetzen. Zum einen, wie erwähnt, die ständig steigende Abhängigkeit von einem immer schneller und komplexer ablaufenden Warenfluss, der "just-in-time" verfügbar sein muss. Seine Unterbrechung kann bereits in einem kurzen Zeitraum eine humanitäre Katastrophe auslösen. Zum anderen eine steigende asymmetrische Vergrenzung unserer Lebenswelt jenseits staatlicher Vorsorge als Folge eines Strebens nach totaler Versicherheitlichung. Diese Grenzen gelten Menschen, während der Waren ungehindert ubiquitär fließen. Die Vergrenzung ist eine Reaktion auf die neoliberal inspirierte ideologische Entwertung des Staates, der immer weniger einen Konsens über das Soziale repräsentiert. Beide Entwicklungen beeinflussen im 21. Jahrhundert die Veränderungen im Austrag von gewaltförmigen Konflikten und der hierbei eingesetzten kriegerischen Gewalt.

Die Erzwingung eines Regimewechsels durch militärische Invasion, wie sie von den USA demonstriert wurde, war durch eine singuläre Situation im Irak begünstigt. Seit dem Verschwinden der Sowjetunion war der Irak das einzige Land, in dem die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln zentralverwaltungswirtschaftlich besorgt wurde und zwar im Rahmen des von den Vereinten Nationen durchgeführten "Öl für Nahrungsmittel" Programms. Angesichts der bevorstehenden Invasion wurden die der Bevölkerung zustehenden Rationen weit im Voraus verteilt, sodass im Verlaufe der Invasion durch die damit verbundenen Störungen der Wirtschaft keine wesentlichen Versorgungsengpässe mit Lebensmitteln auftraten. Die von der internationalen Hilfeindustrie erwartete Fluchtwelle blieb aus. Die hastig gebauten Flüchtlingslager in Nachbarländern blieben weitgehend leer. Erst die späteren internen bewaffneten Kämpfe lösten große Flüchtlingsströme aus.

In wahrscheinlich jedem anderen Land würde es hingegen bei einer militärischen Invasion zu massiven Versorgungsengpässen kommen und zwar durch invasionsbedingte Unterbrechungen der Versorgungslogistik der Märkte und die dann unweigerlich einsetzende Spekulation. Dies gilt besonders für Megastädte, die zunehmend geradezu zum Strukturmerkmal vieler Länder geworden sind. Früher diente der ländliche Raum mit seiner diversifizierten bäuerlichen Landwirtschaft als Fluchtraum[40], der zumindest vorübergehend Flüchtlinge aufnehmen und versorgen konnte. In dem Maße jedoch, indem der ländliche Raum von moderner, kapitalintensiver am Weltmarkt orientierter Landwirtschaft dominiert wird, entfällt er als Fluchtraum. Folglich ist es unter den heute herrschenden Lebensverhältnissen sehr wahrscheinlich, dass militärische Invasionen in kürzester Zeit schwerste humanitäre Katastrophen unter der Zivilbevölkerung auslösen.

Insoweit militärische Planer sich solchen Erkenntnissen nicht völlig verschließen und die geringe Überlebenselastizität moderner Gesellschaften ins Kalkül nehmen, wird sich eine konventionelle militärische Invasion nicht mehr zur Durchsetzung eines politischen Zieles anbieten. Es kommt hinzu, dass außer den USA, die im Wesentlichen das durch die Konfrontation im Kalten Krieg legitimierte Rüstungsniveau aufrechterhalten haben, kein weiteres Land über die militärische Logistik zur Durchführung einer massiven Invasion verfügt. Derartige strukturelle Wandlungen bleiben freilich im Schatten der Medien verborgen. Stattdessen stürzt man sich auf imaginierte nukleare Bedrohungen und die Angebote der bürokratisch-militärisch-industriellen Lobby, diesen unterstellten Gefahren mit erhöhten Rüstungsanstrengungen zu begegnen. Gleichzeitig obsiegt, nahezu unbehelligt von den Medien, die korporative Trägheit des Militärs. Die Beschaffung von Waffensystemen, die angesichts der heutigen Anforderungen an das Militär obsolet sind, wird Steuergelder verschwendend fortgesetzt.

Zugleich aber wird insgeheim die Entwicklung völlig neuer Kriegsmittel vorangetrieben. Die imperiale Kriegsführung der USA und ansatzweise auch der NATO befinden sich daher bereits in der Anfangsphase eines tiefgreifenden Wandels der Kriegsmittel. Er gründet sich im Wesentlichen auf dem rasanten Fortschritt bei Datenerfassung und -verarbeitung, der in der zivilen Wirtschaft generiert wird. Ihre Dynamik gewinnt diese Waffenentwicklung durch die gefühlte Totalität terroristischer Bedrohung, die politisch zu einer rechtliche Entgrenzung der für notwendig erachteten Kriegsmittel führt. Der Anspruch auf totale Versicherheitlichung gegenüber der imaginierten Gefahr durch Terrorismus hat vom Völkerrecht nicht gedeckte militärische und geheimdienstliche Handlungsfelder eröffnet. So hat die Ideologie imperativer Versicherheitlichung den Aufwuchs zusätzlicher neuer Sicherheitsdienste befördert, die mit den traditionellen Geheimdiensten und den in den USA eigenständigen Teilstreitkräften in aggressiver Konkurrenz stehen. Technologisch geht es um die Entwicklung der besten Mittel zur Abwehr angenommener terroristischer Bedrohungen und effektiver, vorzugsweise klandestiner Intervention zur Durchsetzung nationaler (imperialer) Interessen.

Die Kultur der Geheimhaltung von Forschung und Entwicklung, die dem Primat der nationalen Sicherheit in Zeiten der bilateralen Konfrontation mit der Sowjetunion geschuldet war, wird unhinterfragt fortgeschrieben. Der demokratische Souverän, der die Haushaltsmittel für diese klandestinen Forschungen zur Verfügung stellt, ist kaum darüber informiert, mit welchem Ziel diese "schwarzen" Forschungsprojekte und Waffenentwicklungen unter absoluter Geheimhaltung in Labors und Produktionsstätten durchgeführt werden. Milliardenbeträge werden ohne wirkliche demokratische Kontrolle verausgabt. In oft klandestinen Einsätzen werden diese neuen Technologien u.a. im Irak und in Afghanistan bereits getestet. Die Medien lassen nicht erkennen, dass sie bemüht sind, Licht in diese diese sicherheitspolitische Schattenwelt zu bringen.

Soviel kann man immerhin feststellen: Waffentechnologisch schreitet eine Roboterisierung der Kriegsmittel[41] mit dem Ziel voran, im eigentlichen Gefechtsfeld[42] nur Kampfroboter zum Einsatz zu bringen, die, wie bereits heute die Drohnen, von Soldaten ferngesteuert werden. Die Vision ist totale informationelle Aufklärung (total battle field awareness). Allerdings hat die bestehende vollständige militärische Überlegenheit als Reaktion den Selbstmordattentäter hervorgebracht und damit zugleich dem Schlachtfeld den geographischen Ort genommen. Diese Logik aufnehmend ist es zur Proliferation von staatlichen Agenturen und privaten Militärunternehmen gekommen, deren Mandat es ist, weltweit Aufklärung zu betreiben und terroristische Gefahren zu identifizieren und gegebenenfalls mit geeigneten Mitteln auszuschalten. Daraus ergeben sich zunehmend Interventionsszenarien, die sich jenseits der kriegsvölkerrechtlichen Einhegung kriegerischen Handelns bewegen und vorzugsweise anonym ihre Wirkung entfalten. Große Priorität wird dabei der Entwicklung nicht-kinetischer Kriegsmittel eingeräumt. Gerade wurde eigens eine Heer, Marine, Luftwaffe und Marines gleichgestellte Waffengattung "cyber warfare" eingerichtet. An diese Entwicklungen knüpft sich die Hoffnung, den Krieg mit nicht-kinetischen und zielgenauen minimalkinetischen Waffen auch in urbanen Szenarien wieder führbar bzw. politisch akzeptabel zu gestalten.

Geschont von den Medien ist es dem Pentagon seit 2001 gelungen, die Sicherheitspolitik umfassend zu militarisieren, was sich nicht zuletzt daran ablesen lässt, dass das Budget des State Department (Außenministerium) stark beschnitten wurde, während das Pentagon institutionell den Bereich der Geheimdienste inzwischen dominiert und über die Hälfte aller Militärausgaben auf der Welt verfügt. Dennoch zeichnet sich nicht ab, dass das amerikanische Militär auf dem Wege ist, erfolgversprechende Einsatzoptionen zu entwickeln, die auf die veränderten Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts zugeschnitten sind. Auch auf die eher verpolizeilichten Aufgaben im Rahmen internationaler Mandate sind die US-Streikräfte schlechter vorbereitet als die meisten anderen Staaten.

Die globalisierte Welt der neuen substaatlichen Grenzen der asymmetrischen Ausgrenzung produziert mächtige transnational operierende Netzwerke, die mangels genauer Informationen allgemein mit organisierter Kriminalität umschrieben werden. Zwar hat es schwere Kriminalität schon immer gegeben, aber die absolute und relative ökonomische Bedeutung des kriminellen Sektors der Weltwirtschaft war noch nie so groß wie heute und alles deutet auf weiteres dynamisches Wachstum der kriminellen Ökonomie im internationalen Maßstab hin. Wenn man nach den Triebkräften fragt, so wird man rasch auf die zur internationalen Norm erhobenen Drogenverbotspolitik als zentrale Triebfeder stoßen, von der aus kriminelle Akteure in andere Sektoren der Wirtschaft eingedrungen sind. Die Wertschöpfung im Drogenhandel ist allein das Produkt der zweifelhaften Verbotsnorm. Sie hat zu einem sich fortlaufend verstärkenden Kreislauf geführt, Strafverfolgung ohne wirklichen Einfluss auf den Umfang des Drogenkonsums, Steigerung der Preise und damit Profite, Intensivierung und Internationalisierung der Strafverfolgung. Der illegale Handel organisiert sich international, eine Verbindung zwischen Drogenhandel und Terrorismus wird aufseiten der Politik hergestellt, was zu einer Militarisierung der Drogenbekämpfung führt, das Militär wird gegen international organisierte Drogenkriminalität[43] eingesetzt, was zur Proliferation der Netzwerke, nicht aber zu einer Minderung des Drogenkonsums geführt hat.

Es spricht vieles dafür, dass die zunehmende innergesellschaftliche asymmetrische Vergrenzung mit den Übergängen in die Lebenswelten der weitgehend staatsfreien Schattengesellschaft die operativen Bedingungen für international operierende Netzwerke der gewaltregulierten Ökonomie befördert. Sie erleichtert es den Gewaltunternehmern, geschützt durch diese privat inszenierten Grenzen, eine Operationsbasis in der legalen Ökonomie zu unterhalten. Sowohl die mit politischer Zielsetzung als auch die mit Bereicherungsinteressen organisierte Gewalt sind auf weltmarktfähige Ressourcen angewiesen, die nur dann in Wert gesetzt werden können, wenn sie verlässlich in die legale Ökonomie geschleust werden können. Die einzige Alternative ist die schwierigere direkte Erpressung von Akteuren der legalen Ökonomie z.B. durch Kidnapping oder Piraterie. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Notwendigkeit diese Reproduktionsbedingungen kriegerischer Gewalt zu sichern, Gewaltunternehmer generell diszipliniert.

Es wird weiter bewaffnete Konflikte geben, vor allem gegen versicherheitlichte Ausbeutung von Rohstoffen, aber ihre politische Dynamik wird von den ökonomischen Parametern gedämpft. Angesichts der Asymmetrien der Möglichkeiten politische Konflikte mit repressiven Mitteln auszutragen, werden terroristische Widerstandshandlungen an Bedeutung gewinnen. Wenn es daher nicht gelingt, generell Konfliktaustrag zu repolitisieren, bewegen sich die Staaten auf ein Zeitalter zu, in dem maximalistisches militärisches Denken die politischen Diskurse dominiert.

Fußnoten

[1] So hat Capgemini ermittelt, dass es seit 2009 in der Volksrepublik China als Folge der diktatorisch durchgesetzten kapitalistischen Wirtschaftsordnung mehr Millionäre (Personen, die über ein investierbares Vermögen von mindestens einer Million Dollar verfügen) gibt als im gesamten Europa. Die sich global verschärfende Einkommenskonzentration ist Gegenstand des jeweils fortgeschriebenen ‘Plutonomy Reports’. Selbst wenn die Ungleichheit der Einkommen in den westlichen Industriestaaten geringer werden sollte, dann entstehen in den sog. ‘emerging markets’ wie China, Brasilien, Russland und Indien neue Plutonomien. Die Kurse der Aktien der Hersteller von Luxusgütern werden, so die selbstsichere Prognose, daher steigen. Hierzu: Gillian Tett, Michael Moore must go farther afield to see new capitalist elite, in: Financial Times, 17.-18.Okt.2009, S.2.

[2] UN Habitat, State of the World’s Cities 2010/2011 Bridging the Urban Divide, London (Earthscan) 2008, S.XXIV.

[3] Israel und das besetzte Palästina sind das globale Testgelände für hochentwickelte soziale Aus- und Abgrenzung. Neben der Umgestaltung des gesamten Habitat auf das Ziel Ausgrenzung und Sicherheit kommen eigens entwickelte hightech Sicherheitsinstallationen zum Einsatz. Verdeckte Operationen aller Art, einschließlich Hinrichtungen sind Teil der israelischen Staatsräson und des Widerstandes dagegen. Sicherheitstechnologien, Geheimdienstgerätschaften, Ausbildung von Geheimdienstpersonal und Privatarmeen sowie militärische Drohnen machen einen erheblichen Teil der israelischen Exporte aus. Umfassend analysiert Eyal Weizman, Hollow Land Israel’s architecture of occupation, London (Verso) 2007 die Ausdiffernzierung der Organisation sozialer Apartheid.

[4] Alain Joxe, L’empire du chaos, Paris 2003.

[5] Auch die Obamaregierung setzt diese Politik fort. Versuche, Menschenrechtsverletzungen wie Folter gerichtlich zu verfolgen, werden unter Berufung auf das Privileg der Exekutive, Staatsgeheimnisse zu schützen, abgewiesen. Siehe: Charlie Savage, Court Dismisses a Case Asserting Torture by C.I.A, New York Times, 09.09.2010.

[6] Zur innergesellschaftlich destruktiven Rolle militärisch dominierter amerikanischer Hegemonialpolitik  siehe: Bacevich, Andrew J., Washington Rules  America’s Path to Permanent War, New York (Metropolitan Books) 2010

[7] Der amerikanische Militärapparat verschlingt gut die Hälfte der weltweiten Militärausgaben, während die öffentliche Infrastruktur in den Vereinigten Staaten verrottet und die staatliche und die private Verschuldung einen Umfang erreicht haben, den künftige Generationen wahrscheinlich nicht bewältigen können.

[8] Hierzu: Tom Engelhardt, Will Our Generals Ever Shut Up? The Military’s Media Megaphone and the US Global Military Presence, http://www.truth-out.org/tom -engelhardt-will-our genernals-ever-shut-up (Zugriff: 08.09.2010).

[9] Hierzu gehören 2,5 Millionen irakische Flüchtlinge, die vor allem in Jordanien, Syrien und Libanon ihr Dasein überwiegend ohne Status fristen sowie eine Million im Irak vertriebene Menschen. Ihr Schicksal ist dem durch die Invasion und Besatzung ausgelösten Bürgerkrieg geschuldet. Kein "eingebetteter" Journalist bekommt sie zu sehen, denn es gilt Erfolge, wie den partiellen Abzug, zu vermelden.

[10] Die globale Terroristenjagd, zu der sich vor allem die USA legitimiert fühlen, erweckt den Eindruck, dass "nur ein toter Terrorist ein guter Terrorist ist". In einer Gesellschaft, die die Todesstrafe vollzieht, ist offensichtlich nicht zu vermitteln, dass jeder "Terrorist" zunächst ein Mensch ist, der schwerwiegend irrt und oft grässliche Straftaten begeht, aber als solcher behandelt werden muss.

[11] Jüngsten Meldungen zufolge desertieren Angehörige dieser rekrutierten sunnitischen Miliz in großen Zahlen oder aber arbeiten heimlich der Ausständischen zu. Siehe: Timothy Williams, Duraid Adnan, Sunnis in Iraq Allied With U.S. Quitting to Rejoin Rebels, in: New York Times, 17.10.2010.

[12] T.Christian Miller, This Year, Contractor Deaths Exceed Military Ones in Iraq and Afghanistan (http://www.truth-out.org/this-year-contractor-deaths-exceed-military-ones), Zugriff: 03.10.2010..

[13] Louis Imbert, D’ou vient l’argent des talibans?, in. Le Monde Diplomatique, septembre 2010, S. 1 + 22.

[14] Die traditionelle, zumeist kleinbäuerliche Landwirtschaft verfügt kurzfristig weder über die Fähigkeiten noch das Kapital den durch diesen Straßenbau plötzlich vorhandenen Marktzugang zu nutzen und droht durch eindringedes landhungriges Kapital, das in der Lage ist, marktorientiert mit modernen Methoden Landwirtschaft zu betreiben, verdrängt zu werden.

[15] Man kann diese Entwicklung vielleicht als "hybriden Agrarimperialismus", der von den verschiedensten Gewinnern der neoliberalen Globalisierung aber auch Staatsfonds (u.a. Saudi Arabien) getragen wird. Aktuelle Bestandsaufnahmen dieses dynamischen Prozesses sind: Lorenzo Cotula, Sonja Vermeulen, Rebeca Leionard, James Keely, Land grab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, FAO, IIED, IFAD 2009: The World Bank, Rising Global Interest in Farmland, Can It Yield Sustainable and Equitable Benefits?, Washington D.C. September 7, 2010.

[16] Eine Ausnahme ist Polmans Abrechnung mit der humanitären Industrie. Siehe: Linda Polman, War Games, The story of aid and war in modern times, London 2010. Zu den Folgen "Verpuffung" im Schlepptau zivilen und militärischen Personals bei  internationalen Interventionen siehe exemplarisch: Célhia de Lavarène, Un visa pour l’enfer, Une femme combat les marchands du sexe, Paris (Fayard) 2006.

[17] Erst nach einem halben Jahrhundert ist die entsprechende "Bordellisierung" Osteuropas während der Besatzung durch die deutsche Wehrmacht Gegenstand geschichtlicher Aufarbeitung geworden, Siehe: Regina Mühlhäuser, Eroberungen  Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941-1945, Hamburger Edition 2010.

[18] Dies ist nicht auf die Dritte Welt beschränkt. Bei der Körperschaftssteuer herrscht allgemein ein Steuerwettbewerb. "In der Zeit von 1982 bis 2005 sanken die Steuersätze in den OECD-Ländern im Durchschnitt um etwa ein Drittel." Nelly Exbrayat, Jenseits des Steuerwettbewerbs, in: WZB-Mitteilungen Heft 27 März 2010, S.46-49. Gleichzeitig wuchs die staatliche Verschuldung sehr stark.

[19] Richard Lapper, Mood upbeat in scramble for coal, Financial Times 03.06.2010 S.6

[20] William Wallis, African bank to triple level of capital, in: Financial Times 29/30.05.2010 S.2

[21] Raymond Baker, India shows us the curse of ‘black money’, in: Financial Times 24.4.2009 S.9.

[22] Dass Governance durch kriminelle Gruppen bei Abwesenheit funktionierender staatlicher Institutionen Stabilität schaffen kann, beschreibt Christopher Caldwell am Beispiel von Drogenbossen in Mexiko. Grown wild in Tivoli Gardens, in: Financial Times 29/30.05.2010 S.7

[23] Siehe hierzu ausführlicher: Peter Lock, Ökonomie der neuen Kriege - Kalte Friedenskonsolidierung durch Kriminalisierung?, in: ÖSFK, Die Weltunordnung von Ökonomie und Krieg, Wien (LIT)  S.40-57.

[24] Laut Capgemini and Merrill Lynch Wealth Management research gibt es in China 900.000 Dollarmillionäre, auch in Indien sind es bereits 120.000, die über mehr als ein Drittel des Nationaleinkommens verfügen. Siehe: Anjil Raval, Mercedes-Benz turns to India, FT 19.07.2010 S.20. Eine Statistik der weltweiten Umsätze des Luxusautomarken Rolls Royce, Ferrari, Porsche und Daimler Benz würde wahrscheinlich die Einkommenskonzentrationen weltweit am Besten abbilden.

[25] In Panama z.B. sind mehr als 400,000 Unternehmen registriert.

[26] "Wealth", die auf die Konsumentengruppe der Hyperreichen zielende periodische Beilage zur Financial Times nennt folgende Quadratmeterpreise für Luxusimmobilien in Steueroasen an: € 45.000 in Monaco; € 22.500 in London. Für neue Wohnungen in bewachten Wohnanlagen zahlt man in Hong Kong € 19.500; € 16.750 in New York und etwa das Gleiche in London. Quelle: Wealth, autumn 2010, S.9.

[27] Einen Einblick in dieses wenig transparente Geschäftsfeld bietet: Daniel Thomas, High security - Iris-recognition, sonsors, bodyguards, panic rooms: just some of the must-haves for security-conscious owners, in: Financial Times Weekend 10.-11.07.2010, House and Home S.1f. Die Zahl der Lizenzen für Leibwächter in London hat sich seit 2006 auf über 6000 verdreifacht. Zahlreiche Domizile besitzen Aufzüge für die Luxuslimosinen, die in die Wohnung führen, um die Gefahr des Kidnapping zu minimieren. Global abrufbare Überwachungssysteme sind Standard.

[28] So ist z.B.der deutsche Rennfahrer Sebastian Vettel Steuerbürger mit vielen anderen deutschen Millionären in Zug (Schweiz). Siehe: Haig Simonian, Magnet for millionaires, Financial Times 17.18.04.2010, supplement House & Home S.2.

[29] Ross Tieman, Winged palace demand soars above supply, Financial Times 20.05.2008 supplement Corporate Aviation S.4.

[30] Eine Übersicht über diese allgemein unterschätzte Hyperluxusbranche siehe das Supplement Yachting der Financial Times 22.09.2010.

[31] Jean-Paul Langellier, Une vie de riche a São Paulo, Le Monde 28.09.2010.

[32] Katrina Burroughs, Within these walls, Gated communities have never been more popular, Financial Times, 14./15.02.2009, supplement House & Home, S.1; siehe auch: Joe Lealy, James Fontanelle-Kan, Mumbai property rises above poor, in: Financial Times 04.10.2010, S.4. In Mumbai und anderswo werden Wohntürme mit Luxusapartments in großer Zahl errichtet, die darauf ausgelegt sind, weitgehend unabhängig von externer öffentlicher Infrastruktur, wie Trinkwasser, Abwässer und Strom, zu sein.

[33] Ausführlich hierzu am Beispiel Manilas: Boris Michel, Global City als Projekt Neoliberale Urbanisierung und Politiken der Exklusion in Metro Manila, Bielfeld 2010.

[34] Die massive Größe und die Sitzhöhe dieser unhandlichen Autos vermitteln ein Gefühl Sicherheit. Sie suggerieren Überlegenheit und Unangreifbarkeit.

[35] So wurde der mexikanische Drogenunternehmer Joaquín "Shorty" Guzmán 2009 in der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt geführt. Siehe: Adam Thomson, Deadly splendour, in: FT Wealth No.11, autumn 2010, S.14-20.

[36] Seit etwa der damals neu gewählte Präsident Mexikos im Jahre 2006 einen Krieg gegen den Drogenhandel gestartet hat, sind in Kämpfen zwichen den kriminalisierten Drogenhandelsunternehmen, Polizei und Militär 28.000 Menschen getötet worden. Quelle:a.a.O. S.6.; siehe auch: Pablo Ordaz, El narco mata, México vota, in:  El País, 4 de Julio 2010, S.2-3.

[37] Siehe zum Beispiel den Bericht über ein Hospital in Medellin (Kolumbien), das jährlich über eine Million Dollar Umsatz mit Organverpflanzungen an Ausländer erwirtschaftet. Quelle: Supplement Investing in Colombia special report Financial Times  06.04.2010. S.3.

[38] Die über die Drogenabsatzmärkte verteilten Arbeitsmigranten bieten eine flexible Rekrutierungsbasis für flächendeckende Vertriebsorganisationen und den Ausbau weiterer krimineller Geschäftsfelder.

[39] In Mexiko City leben Zehntausende vom Hausmüll und dessen Verwertung. Jede Versorgungskrise schlägt daher sofort nach "unten" durch.

[40] In jüngster Vergangenheit hat die Versorgungselastizität der wenig modernisierten Landwirtschaft im Jugoslawien Titos den langen Krieg in Bosnien-Herzegowina und das lange Durchhalten Serbiens angesichts der Bombardierungen durch die NATO ermöglicht.

[41] Eine Übersicht bietet: P.W. Singer, Wired for War The Robotics Revolution and Conflict in the 21st Century, New York 2009.

[42] Bereits gegen Ende des Vietnamkrieges träumte man in amerikanischen Militärzeitschriften vom automatisierten Schlachtfeld. Die Niederlage nach neun Jahren Krieg in Afghanistan vor Augen werden erneut futuristische "kriegerhaltende" Szenarien entworfen und Unmengen Forschungsgelder verausgabt. Nicht zuletzt weil die SoldatInnen den psychischen Belastungen dieses Krieges nicht länger gewachsen sind. 350 SoldatInnen haben sich 2009 das Leben genommen, während 340 bei Kampfhandlungen in Afghanistan getötet wurden. Siehe: Nadya Williams, truthout/Op-Ed, Thursday 01 April 2010, Carrying a Backpack of Sorrow... Soldiers on the Edge of Suicide.

[43] Die perspektivlose Kriminalisierung des Drogenkonsums und die massiven negativen Auswirkungen für weite Teile der Welt werden anschaulich ausgeleuchtet in: Juan Gabriel Tokatlian und Ivan Briscoe, Drugs: Towards a Post-Prohibitionist Paradigm, in: IPG 3/2010, S.102-110.