Dr. Peter Lock
European Association for Research on Transformation e.V.

Handys, Öl und Diamanten - Gewalt und Geschäfte

Stichpunkte zum Vortrag auf dem Kirchentag, am 30.05.2003 im Forum den Frieden stärken

Verehrte Anwesende,
Stellen wir uns vor, alle Waren und Dienstleistungen, die unser tägliches Lebens ausmachen, trügen die Farben der Flaggen der Länder, deren Menschen an ihrem jeweiligen Zustandekommen beteiligt waren, unser Alltag wäre unendlich bunt und wir würden wie exotisch geschmückte Pfingstochsen aussehen. Würden zudem alle illegalen Transaktionen, Menschenrechtsverletzungen und Steuerhinterziehungen die so produzierten Gegenstände und erbrachten Dienstleistungen mit einem dauerhaften Ticken markieren, dann würden Sie mich jetzt kaum verstehen, denn wir wären eine riesige Versammlung mehr oder weniger laut tickender, exotisch geschmückter Pfingstochsen. Am meisten Lärm würden viele Mobiltelephone machen, zu deren Herstellung Tantalum aus dem östlichen Teil des Kongo verwendet wurde. Würde fehlende Nachhaltigkeit schließlich den so produzierten Gegenständen einen üblen Geruch verleihen, dann würde es hier nicht nur laut und bunt sein, es würde auch ziemlich stinken. Diese Parabel von den Pfingstochsen, die häufig ticken und stinken muß eine Aufforderung für uns sein, sehr viel genauer der weltgesellschaftlichen Verflochtenheit unseres Lebensstils nachzuspüren.

Unser tägliches Handeln ist unwiderruflich Weltgesellschaft. Ein winziges Element zwar, aber jede Veränderung geht von dem kleinsten Element aus, es ist nicht ohne Gewicht. Das heißt, jeder einzelne von uns trägt weltgesellschaftliche Verantwortung. Da unsere derzeitige Lebensweise nicht nachhaltig ist und nachfolgenden Generationen eine schwere Hypothek aufbürdet, muß diese Verantwortung auch nachfolgende Generationen einschließen. Jeder muß täglich genau hinsehen, wo es im Alltag tickt und riecht. Wir sind ständig gefordert, in angemessener Bescheidenheit unser Leben global zu denken und konsequent lokal zu handeln, damit wir die Entwicklung einer gerechten und nachhaltig wirtschaftenden Weltgesellschaft nach bestem Vermögen befördern.

Wir müssen uns in Geduld und aufrichtiger Bescheidenheit üben, weil es für die weltgesellschaftlichen Probleme nicht die Lösung gibt. Immer wieder haben sich in der Geschichte scheinbar stimmige Konzepte als untaugliche Ideologien erwiesen, die gewalttätige Regime hervorgebracht haben. Daher müssen wir den steinigen Weg der ständigen Suche nach der jeweils weniger schlechten Lösung konkreter Probleme gehen. Es ist der einzige Weg einer dauerhaften Annäherung an eine bessere Welt. Unser entschiedenes Eintreten für bessere Lösungen muß aber auch von der Bereitschaft getragen sein, die Möglichkeit des Irrtums zu akzeptieren. Unser Denken und Handeln muß lösungsoffen bleiben.

Unter diesen Vorzeichen werde ich jetzt meine Sichtweise einiger Ausschnitte der Weltgesellschaft vortragen und fragen, welche Handlungsmöglichkeiten es in unserem Alltag gibt und was die Politik tun kann, um identifizierte Mißstände zu beseitigen.

Erste Annäherung

Die heute wirtschaftlich wertvollen mineralischen Vorkommen sind sehr ungleich auf der Welt verteilt. Ein flüchtiger Blick auf den Globus zeigt, daß Demokratie und Rechtsstaatlichkeit selten dort zuhause sind, wo wertvolle Rohstoffe abgebaut werden. Diktaturen, innergesellschaftliche bewaffnete Konflikte, extreme Ungleichverteilung der Einkommen und ein sehr niedriger Rangplatz auf der Skala menschlicher Entwicklung, die von den Vereinten Nationen ermittelt wird, kennzeichnen solche Regionen. Ausnahmen, wie etwa Norwegen, belegen allerdings, daß dies kein zwangsläufiger Zusammenhang ist. Betrachten wir beispielhaft zunächst das Kongogebiet,

Aktuell wüten im Ostteil der Demokratischen Republik Kongo und das Gebiet der großen Seen gewalttätige Konflikte, die jeden Moment zu einem neuen Genocid eskalieren können. Zu mehr als paar hundert uruguayischen Militärbeobachtern haben sich die Vereinten Nationen bislang nicht aufraffen können. Es fehlt der Wille, dort resolut der Gewalt vorzubeugen. An den Kosten liegt es nicht. Ein Promille der Ausgaben für den Irakkrieg würde für ein robustes Mandat ausreichen.

In der Region hat es seit der Beschreibung der grausamen Ausbeutung durch den belgischen König Leopold durch Joseph Konrad nur graduelle Veränderungen gegeben. Nach wie vor werden die reichlich vorhandenen mineralischen Reichtümer und edles Tropenholz mit Gewalt angeeignet. Ein einziges Mal hat es vor vierzig Jahren Wahlen gegeben. Sie wurden durch die bestialische Ermordung Lumumbas annulliert. Unter der kleptokratischen Diktatur Mobutus hat sich die Unterentwicklung über drei Jahrzehnte verschärft. Seit den neunziger tummeln sich die Streitkräfte benachbarter Staaten in weiten Teilen des Kongo. Sie fungieren ungeniert als Gewaltunternehmer, die alles aneignen und außer Landes bringen, was die Menschen, häufig nur mit ihren Händen und Schaufeln, aus dem mineralhaltigen Boden scharren, um zu überleben. Es handelt sich dabei um seltene und zeitweilig sehr gefragte Rohstoffe, die in den modernsten Technologien der Industriestaaten Verwendung finden. Das gewaltkriminelle Treiben an dem Mobutu, die Kabilas (Vater und Sohn) und mindestens fünf Nachbarstaaten aktiv beteiligt waren bzw. sind, ist in Untersuchungsberichten der VN minutiös protokolliert. Wir wissen also um die brutale Gewalt, das Elend und die wirtschaftlichen Interessen der Gewaltakteure. Aber eine Lösung ist nicht in Sicht.

Der Treibstoff für die ständige Reproduktion der Gewalt stammt allein von den Absatzmärkten in den entwickelten Industriestaaten. Die interessierten Unternehmen haben Laurent Kabila bei seinem Marsch auf Kinshasa begleitet, ihm ihre Geschäftsflugzeuge zur Verfügung gestellt und seine Kriegskasse gegen die Vergabe von Schürfrechten gefüllt. Mit anderen Worten, alle Güter, die aus dem Kongo stammen, ticken laut und stinken. Seit einhundert Jahren stopfen sich die Industrienationen die Ohren zu und halten sich die Nase zu, wenn Güter aus dem Kongo meist von korrupten und kriminellen Akteuren in die globale Warenzirkulation eingeschleust werden.

Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte dieser Region hat der Staat die Sicherheit seiner Bürger garantiert, für bestimmte Gruppen waren Armee und Polizei immer eine Bedrohung. Die Produktion von Sicherheit bleibt dem Gewaltmarkt überlassen. Gruppenzugehörigkeit bedeutet Sicherheit im weitesten Sinne und zugleich Ausschluß anderer. Was für den einen Sicherheit ist, erscheint dem anderen als Gefahr. Aus konfrontativ wahrgenommenen Sicherheitsvorkehrungen von Gruppen unterschiedlicher Identität entwickeln sich Konflikte, die zu innergesellschaftlichen bewaffneten Auseinandersetzungen eskalieren können. Gewaltunternehmer benutzen Identitätsideologien als Tarnung für ihre wirtschaftskriminellen Interessen. Sie setzen eine Gewaltspirale in Gang, die von den Absatzmärkten lebt, über die von ihnen angeeignete Waren in die wirtschaftliche Zirkulation unserer Konsumwelt eingeschleust werden. Mit der Illegalisierung aller wirtschaftlicher Betätigung verschwindet die materielle Basis des Staates, denn ohne Steuern kann es keine öffentlichen Güter, keine Sicherheit, keine Rechtsstaatlichkeit, keine Schulen usw. geben. Der Schlüssel zu einer rechtsstaatlichen, auf den Menschenrechten gegründeten Vergesellschaftung im Kongogebiet, liegt in transparenten, entkriminalisierten wirtschaftlichen Außenbeziehungen der Region. Das anerkennt auch die neue autoritative Weltbankstudie Paul Collier et al. Breaking the Conflict Trap...(Die Konfliktfalle überwinden).

Andere Beispiele: In Angola herrschen Frieden und Hunger, aber das Öl fließt in Strömen und die Milliardeneinnahmen vorbei an der Staatskasse in die Taschen einer kleinen Machtelite. In Saudi Arabien fließen die Öleinnahmen in einen repressiven Sicherheitsstaat, Rüstungsausgaben und den Export einer religiösen Ideologie. Das Land selbst gleicht einem Apartheidstaat mit mindestens sieben Millionen rechtlosen Fremdarbeitern. In Rußland unterhält der größte Energiekonzern Privatarmee in der Größenordnung von 20 000 Mann, um die wirtschaftlichen Interessen zu sichern. In Nigeria und Indonesien herrschen in den Förderregionen Elend und Widerstand gegen die Ausbeutung der Regionen ohne Gegenleistung. Die Erdölkonzerne schmieren die Streitkräfte und lokale Milizen zum Schutz ihrer Anlagen. Die Liste der mittelbaren Gewaltförderung aus Erdöleinnahmen weltweit ist lang und wurde vom Irak angeführt. Das meiste Erdöl, das wir verbrauchen, tickt laut und stinkt stark, weil wir zuviel davon verbrauchen.

Diamanten werden mit härtester körperlicher Arbeit abgebaut (oder ausgewaschen). Bei Vorkommen an der Oberfläche geschieht dies weitgehend ohne Kapitaleinsatz. Zwischen die schuftenden Gräber und die Diamantenhändler und -schleifer in Antwerpen, Indien und Israel drängen sich regelmäßig Gewaltakteure, häufig im Gewand einer politischen Bewegung und eignen sich den größten Teil der Wertschöpfung an.

Funktionsfähige Staatlichkeit ist für große Teile der Weltgesellschaft eine Fata Morgana, auf deren Erreichen sie längst nicht mehr setzen. Für dieses Überleben weitgehend außerhalb ordnungsstaatlicher Regulierung ist Sicherheit ein zentrales Problem. Vertrauen und Gewalt sind konkurrierende, manchmal symbiotische Instrumente, mit denen Sicherheit innerhalb der jeweiligen Gruppe geschaffen wird. Derartige soziale Gruppen bilden Netzwerke, die untereinander verläßlich handeln und sich zur Identitätsbildung immer nach außen abgrenzen und damit andere ausgrenzen. Der Übergang von informellen zu kriminellen Netzwerken ist fließend. Im Kampf um ein besseres Leben organisieren sie sich unabhängig von staatlicher Territorialität und expandieren naturwüchsig in transnationale Operationsräume, begünstigt durch Migration. Illegale Transaktionen über Grenzen bieten eine zusätzliche Rente.

Zweite Annäherung

Wachsende Ungleichheit begleitet den gegenwärtigen Globalisierungsprozeß. Sozial-räumliche Segmentierung ist die Folge, die zunehmend den Charakter von Barrikaden annimmt und durch private Sicherheitsdienste abgesichert wird. Die neoliberale Regulierungsdoktrin bedingt eine Verringerung der staatlichen Leistungsfähigkeit auf allen Ebenen, besonders aber im Bereich Sicherheit.

Um die globalen Zusammenhänge zwischen Gewalt und wirtschaftlichen Vorgängen besser zu verstehen, zerlegen wir zunächst den Globalisierungsprozeß in drei asymmetrisch interagierende Sphären.
Die reguläre Sphäre der globalen Ökonomie ist durch rechtliche Ordnungen gekennzeichnet, die Transaktionen für alle Marktteilnehmer berechenbar machen. Es werden überwiegend Steuern zur Reproduktion von Staatlichkeit gezahlt, auch wenn das Niveau der Besteuerung als Folge weltweiter Standortkonkurrenz allgemein abnimmt. Die mageren Wachstumsraten der regulären Ökonomien halten global nicht Schritt mit dem Wachstum der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter und der sich daraus ergebenden Nachfrage nach Arbeit. Mit den informellen Sektoren findet massiver ungleicher Tausch im Bereich von illegalen Dienstleistungen statt. Die inzwischen allgemeine Akzeptanz dieser Schwarzarbeit, bei der illegale MigrantInnen in der Regel eine große Rolle spielen, hebt den Lebensstandard in der regulären Sphäre nicht unwesentlich. An ihren Rändern sind die regulären Ökonomien leider weit offen für Korruption und wirtschaftskriminelle Akteure, die die Produkte und Erträge ihrer illegalen Aktivitäten in die reguläre Waren- und Dienstleistungszirkulation einschleusen. Überhöhte Immobilienpreise sind oft ein Indikator für das Einfließen von Erträgen aus der kriminellen Ökonomie.

In den informellen Sphären der Wirtschaft haben rechtsstaatliche Regeln nur sehr begrenzte Geltung. Asymmetrische Machtstrukturen, die unkontrolliert Gewalt androhen oder auch anwenden und rudimentäre Ansätze kommunitärer Selbstorganisation kennzeichnen die informellen Sphären der Ökonomie. Sieht man von gelegentlicher Einbeziehung durch Konsumsteuern ab, sind die informellen Sektoren nicht an der Reproduktion von Staatlichkeit durch Zahlung von Steuern beteiligt. Gleichwohl aber ist der informelle Sektor weltweit die Lebenswelt des größten Teils der erwerbsfähigen Bevölkerung. Selbst in der relativ entwickelten Region Lateinamerika hat die ILO für Ende der neunziger Jahre einen Anteil des informellen Sektors von 56 % an der Erwerbsbevölkerung ermittelt. Diese Sphäre wächst weltweit am schnellsten. Es ist somit strukturell angelegt, daß diese Bevölkerungsmehrheit völlig unzureichend mit öffentlichen Gütern, wie z.B. Schulen, Gesundheit und Infrastrukturen versorgt wird. Denn eine einfache Formel lautet, ohne Steuern kein Staat und ohne Staat keine öffentlichen Güter. Gleichzeitig trägt der informelle Sektor, wie bereits erwähnt, in erheblichem Umfang zur individuellen Wohlfahrt im Bereich der regulären Ökonomie durch billigste Dienstleistungen bei. Auch für wohlhabende Industriestaaten trifft dies zumeist in Form von Schwarzarbeit durch illegale MigrantInnen zu, z.B. als Hilfen im Haus und bei der häuslichen Krankenpflege, in Landwirtschaft und Gastronomie, im Handwerkssektor und der Bauindustrie. Da alle Aktivitäten, die wir dem informellen Sektor zuordnen, außerhalb der Reichweite von Rechtsstaatlichkeit angesiedelt sind, sind Menschen in diesem Sektor generell stark gefährdet, von gewaltkriminellen Akteuren kontrolliert und ausgebeutet zu werden. Das gilt auch für die von Schwarzarbeit dominierten Bereiche in der ansonsten wohl geordneten deutschen Volkswirtschaft. Nur die Legalisierung von Schwarzarbeit und Migration trägt zur Lösung dieses weltgesellschaftlichen Problems bei.

Schließlich haben sich die global vernetzten Akteure krimineller wirtschaftlicher Betätigung dynamische Zirkulationssphären geschaffen. Sie weisen, gemessen an Umsätzen und Profiten, wahrscheinlich die höchsten Wachstumsraten aller drei Sphären in der Weltwirtschaft auf. Anstelle rechtsstaalicher Regelungen bilden latente und manifeste Gewaltverhältnisse die Geschäftsgrundlage in diesen netzwerkartigen Zirkulationssphären. Steuern zur Reproduktion des Staates zahlen diese Akteure nicht. Vor allem in Transformationsländern eignen sich häufig wirtschaftskrimenelle Akteure sogar vorhandene öffentliche Infrastrukturen an.

Bei der kriminellen Sphäre handelt es sich um ein parasitäres Gebilde, das auf funktionierende Tauschsphären mit der regulären Ökonomie angewiesen ist. Kriminelle Akteure usurpieren Teile der regulären und der informellen Ökonomien. Dies macht eine eindeutige definitorische Abgrenzung nicht immer leicht. Immerhin wird aber das BKP (Bruttokriminalprodukt) inzwischen grob auf jährlich 1500 Mrd. US-Dollar geschätzt, wovon knapp die Hälfte auf Drogengeschäfte entfällt. Dies ist ein Vielfaches des BSP des gesamten afrikanischen Kontinentes. Die transnationale Dimension des kriminellen Sektor wird an jedem Eingang eines Postamtes in Deutschland manifest. Dort werden in zehn Sprachen potentielle Bankräuber über die außerordentlichen Schwierigkeiten informiert, den Geldschrank zu öffnen.

Daraus ergibt sich: Der unterschiedliche sozial-ökonomische Status von Staaten wird durch das jeweilige Mischungsverhältnis regulärer, informeller und krimineller Sphären bestimmt. Das Zusammenwirken dieser drei Sphären ist durch asymmetrische bzw. ungleiche Tauschbeziehungen gekennzeichnet, vor allem zuungunsten des informellen Sektors. Zugleich bestimmt das jeweilige Mischungsverhältnis die soziale Topographie und die Organisationsform von individueller und kollektiver Sicherheit der jeweiligen Gesellschaften. Darüber hinaus sind diese drei Sektoren der nationalen Volkswirtschaften in jeweils eigenständige globale Zirkulationssphären integriert. Dabei bilden informelle und kriminelle Ökonomien den logischen Schatten der gegenwärtig die Globalisierung prägenden neoliberalen Regulationsdoktrin. Angesichts der dynamischen Transnationalität informeller und krimineller Netzwerke, allen voran der Drogenökonomie werden diese Strukturen mit dem Begriff Schattenglobalisierung angemessen beschrieben. Legale und illegale Migration verdichten und erweitern die jeweiligen Operationsräume von Netzwerken, die die Schattenglobalisierung ausmachen. So kontrollieren transnationale Netzwerke u.a. den Handel mit Drogen oder Menschen (Prostitution), die von ethnischen Gruppen dominiert werden, die ihrerseits durch vorangegangene legale und illegale Migration deutliche logistische Wettbewerbsvorteile haben.

Die Sphären schattenwirtschaftlicher Aktivitäten bilden die Lebenswelt wenigstens der Hälfte der Weltbevölkerung. Die Einbindung der jeweiligen Kriegsökonomien in schattenwirtschaftliche globale Handelsströme ist eine notwendige Voraussetzung für längere innergesellschaftliche bewaffnete Konflikte. Da die Schattenglobalisierung sich wie ein Nebel über den Globus gebreitet hat, finden Kriegsherrren meist ohne Schwierigkeiten graue Märkte für die von ihnen angeeigneten Waren und Lieferanten für ihre militärischen Bedarfe.

Kriegsparteien müssen sich im Gegenzug als strategische Gewaltunternehmer im Prozeß der Schattenglobalisierung etablieren. Dies bestimmt den Charakter kriegerischer Gewalt. Daher werden die gegenwärtigen Kriege zunehmend diffuser. Beginn und Ende markieren häufig keine wirklichen Zäsuren im Hinblick auf das Gewaltgeschehen. Immer wieder wird militärische Logik von kriegsökonomischen Erfordernissen und Interessen überlagert. In zahlreichen Gesellschaften ist das Gewaltniveau höher als in manchem gegenwärtigem innergesellschaftlichem Krieg. Hierzu zählen u.a. Nigeria, Brasilien oder Südafrika. Die gewalt- und schattenunternehmerischen Fähigkeiten heutiger Kriegsparteien führen dazu, daß humanitäre Hilfe als ein niedrigschwelliges Element der Einmischung immer häufiger in eine Kriegsressource transformiert wird. Die ökonomischen Interessen können bei lange andauernden Kriegen so dominant werden, daß man sie auch als eine eigenständige Produktionsweise interpretieren kann, in der das kriegerische Geschehen letztlich von gewaltunternehmerischen Profitmaximierungsstrategien bestimmt wird.

Es stellt sich die Frage, ob die Dichotomie Krieg und Nicht-Krieg überhaupt noch geeignet ist, Gewalt angemessen zu analysieren, die sich mit der Schattenglobalisierung aus der Logik krimineller Netzwerke entfaltet. Es dürfte vielmehr realitätstüchtiger sein, bei der Untersuchung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse im Zeitalter von Globalisierung und Schattenglobalisie-rung mit der Kategorie "regulative Gewalt" zu arbeiten. Unter regulativer Gewalt wird hierbei die Androhung und der Einsatz von physischer Gewalt zur Durchsetzung von ungleichen Tauschverhältnissen und Aneignung verstanden. Dieser Begriff erlaubt es, die Ge-waltlogiken besser zu entschlüsseln, die für das dynamische Fungieren der Schattenglobalisierung unabhängig von der Kategorie Krieg konstitutiv sind.

Die Zusammenhänge zwischen den symbiotisch verknüpften Prozessen von Globalisierung und Schattenglobalisierung einerseits und Erscheinungs-formen krimineller Gewalt in sozialen Räumen, aus denen sich der Staat als Ordnungsmacht zurückgezogen hat, machen es erforderlich, kriminelle Ge-walt, die sich unter anderem in Mordraten und Straftaten unter Anwendung von Schusswaffen ausdrückt, auf den Mikroebenen sehr viel genauer, inter-national vergleichend zu untersuchen, um den Anteil "regulativer Gewalt" an der Gesamtheit der Tötungsdelikte und anderer krimineller Gewalttaten zu bestimmen.

Dritte Annäherung

Als allgemeine Regel kann gelten, dass die Privatisierung von Sicherheit ein Spiegelbild des Zustandes von Staatlichkeit und gesellschaftlicher Kohäsion ist. Diese Privatisierung schreitet weltweit voran. Das öffentliche Gut Sicher-heit wird immer mehr zur Ware, über deren Erwerb die individuelle Kaufkraft entscheidet. Armut bedeutet meist auch Unsicherheit. Auch wenn es zu einer umfassenden privaten Aneignung des Staatsapparates durch eine Gruppe kommt, bedeutet dies eine faktische Privatisierung der Sicherheit. Die so angeeignete Fassade von Staatlichkeit erzeugt einen Zustand allgemeiner Unsicherheit und bewirkt zudem, daß sich auch vertrauensbasierte zivilgesellschaftliche Regelsysteme auflösen. An ihre Stelle treten Selbstverteidigungsstrukturen auf der Grundlage von Identitätsideologien auf unterschiedlichen Ebenen, die sich auf den konkreten Ausschluß anderer gründen oder es gelingt Gewaltakteuren ein tributpflichtiges territoriales Gewaltmonopol (Racket) zu etablieren.

Legale und illegale Privatisierung der Sicherheit und Minderung der Reichweite staatlicher Ordnungsfunktionen einerseits und expandierende Informalisierung und Kriminalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten andererseits sind komplementäre Folgen des herrschenden neoliberalen Globalismus. Die Kriminalisierung er-stickt alle unternehmerischen Initiativen zur Selbsthilfe in der Sphäre der Schattenglobalisierung, denn bei Erfolg wird unter Androhung von Gewalt abkassiert. Daher dürfte es illusionär sein, auf alternative emanzipatorische Vergesellschaftungsformen zu hoffen, die sich aus der Schattenglobalisierung heraus entfalten könnten. Massive illegale Migration ist regelmäßig die Folge gewaltökonomischer Regulierung, auch ohne den Kontext Krieg. In der Emigration, die meist illegale Immigration bedeutet, schließen das staat-liche Gewaltmonopol und rechtsstaatliche Instanzen des Gastlandes die Le-benssphären illegaler MigrantInnen nicht ein, obwohl ihre Arbeitskraft ökonomisch ein fester Bestandteil der jeweiligen nationalen Ökonomien ist. Dies macht sie fast automatisch anfällig für eine Integration in transnationale kriminelle Netzwerke.

Die Gewaltsteuerung transnationaler Netz-werke, z.B. des Drogen-, Waffen- oder Menschenhandels ist zwangs-läufig entterritorialisiert. An beliebigen Punkten der Transaktionsketten kann es notwendig werden, mit "regulativer Gewalt" Störungen bei der Zirkulation von Waren und Geld zu begegnen. Zur Funktionslogik wirtschaftskrimineller Netzwerke gehört es aber auch, daß sie die Existenz der regulären Märkte nicht gefährden dürfen, denn nur wenn das Einschleusen in letztere gelingt, können sie die Erträge ihres kriminellen Tuns realisieren. Dies macht die komplexe Symbiose der beiden Globa-lisierungsprozesse aus.

Die herrschende Lehre blendet alles jenseits der regulären Ökonomie mehr oder weniger aus. Aus diesem Blickwinkel wäre die Beschäftigung mit der Schattenglobalisierung, auf der auch Kriegsökonomien gründen, eine inhaltliche Rekonstruktion der Begriffes Volkswirtschaft. Es gehört zu den Ironien der herrschenden wirtschaftspolitischen Rhetorik, daß bei der Ermittlung des Bruttosozialproduktes die schattenökonomische Wertschöpfung mitgezählt wird. Die reguläre Ökonomie kann durchaus schrumpfen, während das BSP wächst, weil die Schattenökonomie boomt.

Vierte Annäherung: notwendige Schritte

Der Zustand der Weltgesellschaft erfordert einschneidende Veränderungen. Ein ökonomischer Paradigmenwechsel ist dringend geboten. Das fängt bei den verwendeten Begriffen an. Die entwicklungspolitischen Diskurse blenden zu häufig aus, daß es sich um globale Rahmenbedingungen handelt, die als Armut und zerfallende Staatlichkeit wahrgenommen und jeweils vor Ort bearbeitet werden. Angesichts der doppelten Globalisierung leben wir in einer Weltgesellschaft, in der die unterschiedliche (Lebens-)Chancenzuteilung angemessen als Ungleichheit zu beschreiben ist, da sich die jeweiligen Positionierungen gegenseitig bedingen. Der Begriff Armut hingegen negiert die historisch-politische Verursachung von Ungleichheit.

Das illiberale, den Bürger bevormundende, mit harten Strafen bewehrte Drogenverbot in den Industrienationen hat die kriminelle Drogenindustrie zur mittelbar weltweit am höchsten subventionierte Branche gemacht. Ohne die milliardenteuren Aufwendungen für die Strafverfolgung, vor allem in den USA, wäre die Wertschöpfung der Drogenindustrie minimal. Allein für 1,2 Mio. Strafgefangene, die wegen Drogendelikten einsitzen, zahlt der amerikanische Steuerzahler 43 Mrd. Dollar. Würde man das Drogenproblem endlich auf der Nachfrageseite angehen, statt arme Bauern, die um ihr Überleben kämpfen, mit chemischen Mitteln zur Vernichtung der Kulturen gefährden, so könnte der Staat diese kriminelle Industrie lahmlegen, selbst die Vermarktung mit einem Steueraufschlag für Drogenerziehungsmaßnahmen übernehmen. Der Drogensektor ist das Startkapital der kriminellen Sphäre der Globalisierung. Er hat potente kriminelle Strukturen und globale Infrastrukturen geschaffen, die massiv in andere wirtschaftliche Bereiche expandieren.

Gleich nach den Drogen folgt die massive Subventionierung der Landwirtschaft in den Industrieländern. Beides sind politische Entscheidungen, die in den Industrieländern getroffen wurden. Sie haben katastrophale Folgen für den Rest der Welt. Die subventionierten Agrarexporte haben zur dauerhaften Zerstörung bäuerlicher Strukturen in zahlreichen Ländern beigetragen. Sie werden durch Agrarindustrien verdrängt. Die verdrängten Menschen finden sich in den Armenvierteln der Megastädte und urbanen Ballungsräumen wieder, in denen die Schattenökonomie dominiert. Sie sind durch einen extrem hohen Anteil junger Menschen gekennzeichnet, die in der Mehrzahl arbeitslos sind und in ihrem Lebenszyklus ohne Änderungen des gegenwärtig herrschenden wirtschaftspolitischen Dogmas keine Chance haben werden, jemals in der regulären Ökonomie zu arbeiten. Soziologisch betrachtet ist die Weltgesellschaft in einer Art intergenerationeller Apartheid organisiert, in denen junge Menschen nur eine weit unterdurchschnittliche Chance haben, durch reguläre Arbeit ein Selbstwertgefühl zu entwickeln und zur gesellschaftlichen Wohlfahrt beizutragen.

Das Versprechen der Weltbankprogramme, durch mehr Wachstum Entwicklung voran zu bringen, ist für die Lebensperspektive der Mehrheit junger Menschen in der Dritten Welt irrelevant. Denn die rechnerischen Beschäftigungseffekte weltmarktintegrierten Wachstums, wenn sie denn überhaupt eintreten, sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Chance, in die reguläre Ökonomie integriert zu werden, sind sie für die allermeisten nicht. Für uns bedeutet dies, wir müssen uns von dieser bequemen Entwicklungslüge verabschieden. Wir müssen uns fragen, wie wir das wirtschaftliche Geschehen innerhalb der Weltgesellschaft regulieren müssen, damit zunächst alle Menschen mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen im Hinblick auf wirtschaftliche Ausstattung mit Kapital bzw. Produktionsmitteln ein faire Chance erhalten, durch ihre Arbeit zur gesellschaftlichen Wohlfahrt im regulären Sektor beizutragen. Diese Chance meint, leben in Sicherheit, öffentliche Güter wie Gesundheit und Bildung. Sie bedeutet aber auch, daß man durch Zahlung von Steuern und auch freiwillige Arbeit zur Sicherung des Gemeinwohls beiträgt.

Weltwirtschaftlich bedeutet dies, wie müssen über differenzierte Regulierungen nachdenken und sie angepaßt an die jeweiligen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen umsetzen. Nicht jede Volkswirtschaft kann sich erfolgreich und gleichzeitig in einem neoliberal offenen Weltmarkt "für eben diesen fit machen", wie es bei uns im Politikerjargon heißt. Fit für den Weltmarkt heißt häufig nur, andere erfolgreich verdrängen und bedeutet nicht automatisch einen Beitrag zur weltgesellschaftlichen Wohlfahrt. Einfach gesagt, wir müssen zu einer neuen Regulierungsdoktrin kommen, die es zuläßt, daß Staaten ihre Wirtschaftspolitik darauf ausrichten können, Beschäftigung bzw. gesellschaftliche Integration durch produktive Teilhabe aller Menschen zu sichern. Das heißt in vielen Fällen konkret, zunächst Schutz von Märkten gegen eine übermächtige, häufig hoch subventionierte internationale Konkurrenz, z.B. der Landwirtschaft der Industrieländer.

Die Politik muß sich auf einschneidende Änderungen einlassen. Denn man kann die zunehmende Ersetzung des Begriffes Politik durch Krieg gegen Drogen, Terroristen und andere Kulturen bei der ideologischen Aufrüstung bislang vor allem des amerikanischen Wahlvolkes als ungewolltes Eingeständnis interpretieren, daß die herrschende neoliberale Doktrin unvermeidlich zu gewaltträchtigen Konfrontationen führt. Anders formuliert, wir leben auf einer Arche des Wohlstandes im Meer der Weltgesellschaft. Seit dem 11. September ist diese Arche dabei, sich in einen Flugzeugträger umgeben mit einer Armada von Schlachtschiffen zu verwandeln. Das dürfen wir nicht zulassen.

Packen wir es also an, machen wir den Hör- und Riechtest bei allen Konsumentscheidungen in unserem Alltag und handeln entsprechend. Konsequentes "lokales" verantwortungsethisches Handeln verleiht unseren Anforderungen an die Politik, sich auf notwendige einschneidende Änderungen der herrschenden Regulierungsdoktrin einzulassen Gewicht. Die kriminelle Drogenökonomie, die zynische Duldung der zerstörerischen Agrarsubventionen und die Notwendigkeit, die Realität unserer Arbeitswelt (Flüchtlinge, Schwarzarbeit usw.) zu legalisieren, sind zentrale Probleme vor unserer Haustür. Ich wünsche uns Mut zum Handeln, im Kleinen und im Großen.