Dr. Peter Lock
European Association for Research on Transformation e.V.

Der Krieg im Irak: Prototyp oder Ausnahme?

  1. Einführung
  2. Die strategische Lage nach der Implosion der Sowjetunion
  3. Der amerikanische Militärkomplex : Ein Dinosaurier im Staat
  4. Die wachsende Rolle von Söldnern in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten
  5. Die Logik der RMA unterdrückt den Krieg als Instrument imperialer Politik und transformiert politische Konflikte in kriminelle Handlungen des Gegners
  6. Der Krieg gegen den Terrorismus oder der permanente Krieg, in dem sich der Aggressor als permanent Angegriffener präsentiert
  7. Modernisierung und neoliberale Globalisierung als strukturelles Hindernis für konventionelle Kriege
  8. Die Einmaligkeit der Situation im Irak
  9. Die Bushdoktrin als Wiederspiegelung des Kampfes um die politische Macht in den Vereinigten Staaten
  10. Die Krise der globalen Regulierung und die Grenzen der Bushdoktrin

1. Einführung

Ziel dieses Textes ist es, sich einer Bestimmung des Stellenwertes des Irakkrieges im Kontext der Transformation bewaffneter Konflikte angesichts fortschreitender Globalisierungsprozesse zu nähern. Dies ist dringend geboten, denn unter dem Stichwort "framing" der öffentlichen Wahrnehmung sind umfangreiche, leider zum Teil erfolgreiche Anstrengungen unternommen worden, bestimmte Aspekte dieses Krieges auszublenden. Verschiedene amerikanische Bürokratien im Bereich der Sicherheitspolitik haben im Verbund mit den privaten Medienkonzernen[1] einen großen, gezielt manipulativen Public Relations Aufwand betrieben, um die Kriegführung insgesamt positiv darzustellen[2].

In einem ersten Schritt wird die strategische Lage nach dem Untergang der Sowjetunion im Hinblick auf die dramatische Ungleichgewichtigkeit weltweiter militärischer Potentiale untersucht. Im Anschluss daran wird die Besonderheit der dominanten militärisch-industriellen Strukturen in den Vereinigten Staaten beleuchtet. Auch wenn die Zahl der in der amerikanischen Rüstungsindustrie Beschäftigten gegenüber der Aufrüstungshausse unter Präsident Reagan stark zurückgegangen ist und die Clintonregierung ihre Konsolidierung mit Milliarden subventioniert hat, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein von neoliberalen Strukturveränderungen unberührtes bürokratisch-rüstungsindustrielles Konglomerat von Industrien und Forschungseinrichtungen außerhalb marktwirtschaftlicher Regulation und auch außerhalb stringenter politisch-parlamentarischer Kontrolle bis in das 21. Jahrhundert überlebt hat und unter der gegenwärtigen amerikanischen Präsidentschaft wieder reüssiert. Vor diesem Hintergrund wird dann herausgearbeitet, dass sich die amerikanische Politik zur bewaffneten Durchsetzung ihrer Interessen schon lange nur in Ausnahmefällen der eigenen Streitkräfte bedient. Von den Mujahedeen in Afghanistan, den Contras in Nicaragua, den Kroaten in Kraina bis zu den Warlords in Afghanistan im Krieg gegen die Taliban gilt, man lässt kämpfen und beschränkt sich auf manchmal verdeckte materielle und logistische Unterstützung. In einem weiteren Abschnitt wird untersucht, wie sich die viel zitierte Revolution der militärischen Angelegenheiten (RMA=Revolution of military affairs) in dieses Szenario einfügt und sich mit der Rollenerweiterung der Streitkräfte, besonders der Special Operation Forces (SOF), zu militärischen Operationen verschieden von Krieg (MOOTW=Military operations other than war) zu präventiven Interventionsoptionen entwickelt. Hierzu müssen die politischen Strategien vorgestellter Gegner kriminalisiert werden, um einseitiges Eingreifen ohne förmliche Kriegserklärung zu rechtfertigen. Im sechsten Abschnitt wird die ideologische Figur des Krieges gegen den Terrorismus zerlegt und begründet, weshalb die Zuschreibung Terrorismus als Gegner demokratische Gesellschaften zwangsläufig zersetzt. Die Logik der Verteidigung gegen einen definitorisch nicht abgrenzbaren Gegner wie den internationalen Terrorismus transformiert die eigene Gesellschaft in einen terroristisch handelnden Akteur, der sich von internationalen Rechtsnormen lossagt. Im siebten Abschnitt wird die dramatische Diskontinuität von Kriegsführungsoptionen als Folge der tiefgreifenden wirtschaftsräumlichen Transformationen der ökonomischen Grundlagen der meisten Staaten diskutiert. Dabei steht die infrastrukturelle Verletzlichkeit moderner Gesellschaften im Vordergrund, sie führt zu Einschränkungen von Kriegsführungsoptionen. Die besonderen Bedingungen des Irak nach dem ersten Golfkrieg begründen, weshalb die Vereinigten Staaten oder genauer die traditionellen Teilstreitkräfte in diesem Land die "heile Welt" konventioneller Kriegführung noch einmal vorführen konnten, während eine vergleichbare Intervention in den meisten Ländern der Dritten Welt die Kriegsführungskapazität politisch nicht akzeptable humanitäre Katastrophen auslösen würde. Im neunten Abschnitt wird die innenpolitische Dynamik diskutiert, die zu dem unilateralen Angriff gegen das irakische Regime geführt hat. Im letzten Abschnitt schließlich wird gefragt, inwieweit tatsächlich "amerikanische " Interessen definiert werden können, die zur Erklärung des Irakkrieges hinreichen. Vieles spricht dafür, dass der militärische Hegemon die Fähigkeit verloren hat, kohärente Ziele für seine strategische Orientierung in der Außenpolitik zu formulieren.

2. Die strategische Lage nach der Implosion der Sowjetunion

Die gegenwärtige militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten ist einzigartig, sowohl im Hinblick auf den nahezu unbegrenzten geographischen Handlungshorizont als auch im Hinblick auf den absoluten militärtechnologischen Vorsprung, dem keine noch so rasante nachholende Entwicklung in den nächsten zwanzig Jahren die Stirn bieten kann. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass der Rest der Welt heute bildlich gesprochen in einem Glashaus sitzt, weil die Leistungsfähigkeit weltraum- und luftgestützter unbemannter Aufklärungstechnologien einen Quantensprung erfahren hat und die Vereinigten Staaten für weltweite Satellitenaufklärung jährlich mindestens 35 Mrd. US $ aufwenden. Zuständig dafür ist eine lange ultrageheimgehlatene Riesenbehörde, der National Reconnaissance Office (NRO). Allerdings wird es sich erst in der Zukunft zeigen, ob die nachrichtendienstlichen Bürokratien die Flut technisch verfügbarer Informationen auch in angemessenen politischen Entscheidungsprozessen verarbeiten können oder eher Fehlsteuerungen des politischen Handelns ausgelöst oder sie sogar unvermeidbar werden. Die offensichtlich mangelhafte Aufklärung in Vorbereitung des Irakkrieges, die zudem wahrscheinlich noch politisch manipuliert wurde, scheint die weniger positiven Prognosen zu bestätigen.

Da die Vereinigten Staaten auch nach Beendigung des Kalten Krieges an der Fortschreibung ihrer Kriegsführungsdoktrin festgehalten haben, die u.a. ein militärisches Potenzial zur Führung von zwei gleichzeitigen konventionellen Kriegen vorsieht, entfallen inzwischen fast die Hälfte der geminderten weltweiten Militärausgaben auf die Vereinigten Staaten[3]. Hierbei sind die zusätzlichen hohen Kosten für den jüngsten Irakkrieg[4] nicht berücksichtigt. Im Gegensatz hierzu befindet sich die übrige Welt seit 1985 überwiegend auf einem Pfad struktureller Abrüstung. Der Anteil der militärischen Aufwendungen am weltweiten Bruttosozialprodukt hat sich seither von 6,5 % auf deutlich weniger als 3 % vermindert. In weiten Teilen vor allem der Dritten Welt haben die Streitkräfte endgültig keine militärischen Fähigkeiten mehr, grenzüberschreitend zu operieren und sind vollständig auf ihre Rolle als innenpolitischer Machtfaktor und Organisation mit erweiterten Polizeifunktionen zurückgefallen[5]. Während man dies in Kontinentaleuropa unausgesprochen als bewussten Paradigmenwechsel zu friedlicher Konfliktaustragung und Transformation der Streitkräfte zu einem Instrument der Konfliktschlichtung im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen vorantreibt, sind es in weiten Teilen der Dritten Welt und in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und ihrer Peripherie eher brutale ökonomische Zwänge und die damit verbundene Schwächung von Staatlichkeit, die zu dieser strukturellen Abrüstung geführt haben.

Allen Beteuerungen der militär-industriellen Lobby und ihren bürokratischen Verbündeten im Pentagon zum Trotz gibt es keine wirkliche militärische Bedrohung der Vereinigten Staaten mehr. Auch die Unterstellungen einer dramatischen Dynamik des chinesischen Militärpotentials blenden den großen technologischen Nachholbedarf Chinas aus, der sich in Jahrzehnten und nicht in Jahren misst, ganz abgesehen von den unausweichlichen ökonomischen Entwicklungskrisen, die China als derzeit noch politisch privilegierter, nachholender Teilnehmer am kapitalistischen Weltmarkt gewärtigen wird.

Die Asymmetrie konventioneller Kriegsführungsmittel und der Dislozierungs-kapazitäten zugunsten der USA gegenüber dem Rest der Welt hat eine solche Dimension erlangt, dass die Möglichkeiten konventionelle Kriege zu führen mangels glaubwürdiger Gegner im Verschwinden begriffen sind. Gleichzeitig jedoch ist spätestens seit dem gescheiterten Engagement in Somalia deutlich geworden, dass die absolute militärische Überlegenheit allein wenig geeignet ist, politische und wirtschaftliche Zielsetzungen durchzusetzen. Die von Alain Joxe[6] offengelegte Disparität zwischen militärischer und wirtschaftlicher Weltordnung scheint sich kontinuierlich zu verschärfen. Die militärische Überlegenheit vermag die angestrebte liberale Weltmarktintegration nicht nur nicht zu befördern, sondern behindert sie. Die desastreusen Verhältnisse u.a. in Afghanistan, Irak und Kosovo belegen dies.

3. Der amerikanische Militärkomplex : Ein Dinosaurier im Staat

Auch wenn die lange dominante marxistische Darstellung des militärisch-industriellen Komplexes in den Vereinigten Staaten als systemische Schlüsselvariable keine empirische Grundlage hatte und im wesentlichen dem ideologischen Bedürfnis nach Polarisierung geschuldet war, so weist das militärische Beschaffungswesen dort nach wie vor Merkmale auf, die eher an sowjetische ökonomische Strukturen als an marktwirtschaftliche Regulierung erinnern. Gleichwohl ist die Rüstungsindustrie im Gesamtkontext der amerikanischen Volkswirtschaft nicht bedeutend. In bestimmten Regionen jedoch und im Kongress hat sie großes politisches Gewicht. Denn der Rüstungshaushalt ist eine letzte Nische, in der die Politik interventionistisch Wirtschaftspolitik gestalten und Arbeitsplätze vor Ort vorzeigen kann, da militärische Güter nicht dem Regelwerk der WTO unterliegen. Von dieser Möglichkeit machen Abgeordnete und Senatoren umfassend Gebrauch, was sich darin niederschlägt, dass der Rüstungsetatentwurf des Pentagon regelmäßig im Kongress mit wahlkreisrelevanten Rüstungskäufen aufgestockt wird und die Streitkräfte u.U. Waffen erhalten, die sie nicht angefordert haben. In Amerika spricht man von "pork barrel" Politik. So ist im Jahre 2003 im Kongress eine Gesetzesvorlage nur knapp gescheitert[7], die darauf zielte eine vollständige Autarkie bei der Beschaffung von Rüstungsgütern erreichen.

Es kommt hinzu, dass der Rüstungssektor die Möglichkeit eröffnet, international vereinbarte Subventionsobergrenzen, z.B. beim Flugzeugbau, zu unterlaufen, indem die entsprechenden amerikanischen Wettbewerbsfirmen, wie Boeing, voluminöse Forschungsaufträge aus dem Rüstungsetat erhalten. Rüstungspolitik stellt sich als Industriepolitik dar, die vorgeblich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit[8] dient. Dies trifft nicht länger zu, denn die Richtung der technologischen Innovationsflüsse zwischen militärischer und ziviler Industrie hat sich umgekehrt. Heute sind komplexe Waffensysteme das Ergebnis der Integration modernster Technologien, die in der zivilen Industrie[9] entwickelt wurden.

Selbst die drei großen Forschungseinrichtungen, Los Alamos National Laboratory, Livermore National Laboratory and Sandia, deren Nährboden das nukleare Wettrüsten war, haben die kurze Durststrecke nach 1990 weitgehend überstanden. Unter Missachtung internationaler Verträge hat der Kongress u.a. die Entwicklung neuer nuklearer Sprengköpfe zur Zerstörung von Bunkern tief im Erdreich autorisiert. Zusätzlich stellen sie sich als Bannerträger der RMA (revolution of military affairs) dar, wobei ein erheblicher Teil der Aufträge den Stempel "geheim" trägt oder als "black program" nicht einmal im Zahlenwerk des Staatshaushalts identifiziert werden kann.

Die eindeutigen Befunde unbedrängter militärischer Überlegenheit haben unter der Regierung Bush nicht zu einer wirklichen Rationalisierung der vorgehaltenen militärischen Kapazität geführt. Vielmehr wurden verstärkt nach dem 11. September visionäre, Wissenschaftler sagen illusionäre, milliardenteure Konzepte einer totalen strategischen Sicherheit reaktiviert, die aus der Reaganära stammen und eine weltraumgestützte totale Sicherheit gegen hypothetische Raketenangriffe durch Schurkenstaaten (rogue states) insinuieren. Selbst dem politisch robusten Verteidigungsminister Rumsfeld ist es nur vereinzelt gelungen, die Fortschreibung der Waffenprojekte der verschiedenen Teilstreitkräfte aus den achtziger Jahren zu verhindern, die längst suboptimale technologische Lösungen für militärische Aufgaben darstellen.

Einem Verbund von den weitgehend eigenständigen vier Teilstreitkräften (Army, Air Force, Navy, Marines) und der etablierten Rüstungsindustrie ist es gelungen, die Beschaffung von weitgehend noch im Kalten Krieg konzipierten Nachfolgegenerationen der wichtigsten Waffenplattformen trotz der total veränderten Sicherheitslage der Vereinigten Staaten im herrschenden politischen Klima virtueller Bedrohungen in den nächsten fünfzehn Jahren abzusichern. Die nächste Generation verschiedener bemannter Kampfflugzeuge steht hierfür. Ihre Produktion wurde für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre festgeschrieben, obwohl deren militärisches Aufgabenspektrum längst von diversen bereits heute leistungsfähigen unbemannten Technologien abgedeckt werden könnte.

Neu hinzugekommen ist eine Homeland Security genannte Orwellsche Mammutbürokratie mit 170 000 Mitarbeitern, die über umfassende Befugnisse, auch jenseits rechtsstaatlicher Normen, verfügt. Sie manipuliert das innenpolitische Klima, indem sie terroristische Bedrohungsszenarien konstruiert, in deren Natur es liegt, dass sie nicht widerlegbar sind. In dem so erzeugten politischen Klima virtueller Bedrohungen ist es den partikularen Interessen verschiedener Teilstreitkräfte und dem Militär insgesamt sowie weiteren "Sicherheitsbürokratien" möglich, sich auch lange nach dem Ende des Kalten Krieges weiterhin einer aufgabengerechten Rationalisierung der eingesetzten Mittel zu entziehen. Im Gegenteil die Ausrufung eines unbefristeten Kriegszustandes gegen den internationalen Terrorismus legitimiert eine umfassende Geheimhaltung des sicherheitspolitischen Regierungshandelns. Im Dunkel dieser vorgeblich sicherheitsbedingt gebotenen Geheimhaltung entfalten sich korporative Interessen zu einem Konglomerat, das in seiner Summe kostenintensive, aber funktional ineffiziente Dienstleistungen erbringt, die der Aufgabenstellung, Sicherheit zu angemessenen Kosten zu produzieren, nicht gerecht werden. Anders formuliert die scheinbare Allmacht des militärischen Hegemon ist von inneren Widersprüchen und autistischen korporativen Eigendynamiken geprägt, deren Folgen kumulativ wirken, aber erst mit Zeitverzögerung in vollem Umfang sichtbar werden.

4. Die wachsende Rolle von Söldnern in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten

Scheinbar im Widerspruch zu den hohen und steigenden Aufwendungen für umfassende militärische Sicherheitspolitik steht die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten bereits über einen langen Zeitraum zur Durchsetzung ihrer Ziele vorzugsweise die Unterstützung von lokalen bewaffneten Gruppen in Anspruch nehmen. Die Faszination der militärischen Hochtechnologien lenkt davon ab, dass solche Gruppen, mehr oder weniger, oft verdeckt im amerikanischen Sold stehend, die formulierten amerikanischen politischen Interessen gewalttätig verfolgen, während das milliardenteure Militär Verluste fürchtend im Hintergrund bleibt. Dokumentierte Beispiele sind u.a. die Mujahedeen, Contras in Nicaragua, Kroaten in der Kraina, die UCK im Kosovo, Warlords und Drogenbarone in Afghanistan.

Daher darf sich die Analyse militärischer Gewalt als Instrument der amerikanischen Außenpolitik nicht allein auf die Streitkräfte beschränken, sondern muss den Blick, besonders nach dem 11. September, auf verdeckte und weniger verdeckte Unterstützung von Gewaltakteuren zur Durchsetzung als strategisch begriffener Interessen richten, wobei die amerikanischen Streitkräfte logistische Unterstützung, Ausbildung und gelegentlich Bombardierung aus sicherer Höhe beisteuern. Der erklärte Kriegszustand gegen den internationalen Terrorismus erleichtert eine Expansion verdeckten Regierungshandelns durch Special Operations Forces (SOF), deren Einsätze regelhaft außerhalb international geltender Rechtsnormen stattfinden. Sie bilden das operative Bindeglied zu verdeckten bewaffneten Handlangern amerikanischer Interessen. Das Budget dieser Einheiten wurde 2003 um 20 % aufgestockt. Neokonservative Autoren verkünden unwidersprochen, dass SOF-Einheiten in 65 Ländern im (Kriegs-)Einsatz gegen den internationalen Terrorismus sind. "Special Operations Command has been designated by the Pentagon as the lead organization in combating terrorism. ... The key goal is to improve the ability of the military to hunt individual terrorists or take down larger organizations."(10)

Das (national)staatliche Gewaltmonopol vor allem in Ländern der Dritten Welt wird jedoch nicht nur durch konspirative SOF-Operationen unterlaufen. In zunehmendem Maße engagieren große multinationale Konzerne private Militärfirmen oder leisten verdeckte Zahlungen an die lokalen Streitkräfte(11), um ihre Produktions- bzw. Extraktionsanlagen zu schützen. Selbst humanitäre Hilfsorganisationen greifen zunehmend auf private Militärfirmen zurück, ohne deren Sicherheitsdienstleistungen nicht wenige ihrer Einsätze, d.h. ihre Geschäftsfelder gefährdet wären. Das Spektrum dieses "outsourcing" militärischer Gewalt in Grauzonen, die das jeweilige staatliche Gewaltmonopol konterkarieren, reicht von kommerzieller Delegation an private Unternehmen(12), die meist von ehemaligen amerikanischen oder britischen Berufssoldaten(13) betrieben werden, bis zu mehr oder weniger verdeckter Zusammenarbeit mit Warlords und Drogenbaronen.

Der Krieg gegen den internationalen Terrorismus beschleunigt derartige Entwicklungen außerordentlich, da seine Logik keine geographische Grenze kennt. Krieg als völkerrechtlich sanktionierte Institution staatlichen Gewalteinsatzes nach außen verliert an Bedeutung und wird durch ein breites Spektrum unilateraler, präventiver, häufig verdeckter Gewaltakte(14) ersetzt, die politischen Entwicklungen eine gewünschte Richtung geben sollen. Die politisch produzierte Suggestion eines unbefristeten Kriegszustandes neutralisiert das bestehende Völkerrecht. Sie verstärkt Tendenzen der Verschleierung und Privatisierung von Gewalthandeln. Der radikal entpolitisierte Krieg gegen den Terrorismus reproduziert spiegelbildlich die moralische Entgrenzung des terroristischen Gewalthandelns auf der staatlichen Seite.

5. Die Logik der RMA unterdrückt den Krieg als Instrument imperialer Politik und transformiert politische Konflikte in kriminelle Handlungen des Gegners

Versuche, den Komplex bürokratischer Institutionen, die an der Produktion von "Sicherheit" beteiligt sind, als kohärentes zielführendes Instrument amerikanischer Außenpolitik im Sinne eines aggressiven oder wohlmeinenden Imperialismus zu erfassen, übersehen die vielen Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung des institutionellen Dickichts und das Beharrungsvermögen bestehender korporativer Interessen gegenüber neuen Anforderungen.

Die "revolution of military affairs" oder kurz RMA bildete eine Handhabe für fortgesetzte Hochrüstung der USA und die Aufrechterhaltung der politisch mangelhaft kontrollierten, oft geheimen militärischen Forschungsinfrastruktur, obwohl der einstige gegnerische Pol, die Sowjetunion, weggefallen war. Wohlgemerkt dies betrifft den Zeitraum noch bevor der 11.September der amerikanischen Regierung neue Begründungen für die Schaffung eines absoluten nationalen Sicherheitsstaates(15) präsentierte. Die RMA verspricht eine umfassende Nutzung absoluter technischer Überlegenheit in Verbindung mit einem riesigen Militärhaushalt. Sie steht für eine Zukunft amerikanischer Kriegführung, die eine beliebige Skalierung der Gewaltmittel unter Ausschluß eigenen Risikos verspricht. In jüngster Zeit ist der Begriff "network centric warfare" hinzugekommen. Dieses neue Schlagwort suggeriert, die Möglichkeit jederzeitiger zentraler politischer Feinsteuerung zunehmend automatisierter militärischer Gewalt. Beides zusammen wurde in den Vereinigten Staaten als Signal des Pentagon verstanden, dass alle erdenklichen militärischen Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden können, wenn nur die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt würden.

Bei den politischen Entscheidungsträgern und vor allem im rechtskonservativen Umfeld des derzeitigen amerikanischen Präsidenten herrscht die Vorstellung, dass mit dieser technischen Revolution der Politik ein stufenloses, beliebig eskalierbares Getriebe zur Steuerung militärischer Gewalt mit einer garantierten Perspektive des Erfolges zur Verfügung steht. Die RMA und der "network centric warfare" werden zur Allegorie eines "militärischen Endes der Geschichte"(16). Sie versprechen der Politik, jedwedem Gegner eine "gläserne Gestalt" auf der Grundlage perfektionierter Aufklärungstechnologien zu verleihen und zugleich Entfernung und damit Zeit als limitierende Bedingung von Interventionen weitgehend aufzuheben. Zum großen Teil geheim gehaltene Gewaltmittel bilden eine nach unten offene und nach oben apokalyptische Skala der Zerstörungsmittel. Um das Potential der RMA voll zur Entfaltung zu bringen, ist es attraktiv, auch frühzeitige niedrigschwellige interventionistische Gewalt(17) ins Kalkül zu ziehen, was zwangsläufig zu permanenten Interventionen führt und gleichbedeutend mit der Aufhebung einer rechtlich markierten Schwelle zum Krieg ist. Zweifel an der Machbarkeit eines solchen Szenarios werden umgehend mit der Genehmigung zusätzlicher Haushaltsmittel zur Perfektionierung des Arsenals beantwortet.

Das Panoptikum ferngesteuerter niedrigschwelliger Gewaltmittel erscheint nicht zuletzt attraktiv, weil es suggeriert, politische Ziele könnten mit diesen Mitteln erreicht werden, ohne die bei traditioneller Kriegführung wahrscheinlichen eigenen Verluste zu gewärtigen. Die RMA suggeriert hingegen die Möglichkeit von Kriegsvermeidungsstrategien durch preemptive, auch unsichtbare (z.B. Störungen der Telekommunikation) chirurgische Eingriffe auf dem Territorium anderer Staaten. Spätestens nach der nunmehr herrschenden Sicherheitshysterie "im Krieg gegen den Terror" entfaltet sich daraus eine dauerhafte Strategie präventiver Interventionen, deren Funktionslogik absolute Geheimhaltung, auch und vor allem gegenüber dem eigenen demokratischen Souverän erfordert. Die Exekutive wird in ihrem sicherheitspolitischen Handeln von den "Fesseln" der Rechtsstaatlichkeit befreit(18). Der erklärte "Krieg gegen den Terror" transformiert die amerikanische Sicherheitspolitik(19) von der Kriegführung zu weltweiter Kriminalitätsbekämpfung(20), wobei die Exekutive wiederum eine nahezu willkürliche Definitionsmacht darüber hat, was denn als kriminell zu betrachten ist. Der Krieg als definiertes Institut des Völkerrechts tritt in den Hintergrund, MOOTW (military operations other than war) bilden einen zentralen operativen Bereich der Streitkräfte und anderer Sicherheitsorgane. Das bestehende humanitäre Völkerrecht, das kriegerische Gewalt einhegt, läuft bei dieser Entwicklung ins Leere.

6. Der Krieg gegen den Terrorismus oder der permanente Krieg, in dem sich der Aggressor als permanent Angegriffener präsentiert

Den tiefen Schock, den der 11. September bei der amerikanischen Bevölkerung ausgelöst hat, hat Präsident Bush, eingebettet in eine neokonservative Seilschaft mit wichtigen Positionen in seiner Regierung, genutzt, um mit der programmatischen Kriegserklärung gegen den Terrorismus gegenüber dem Kongress weitgehende Handlungsfreiheit für die Regierung zu erlangen. Die folgende Außerkraftsetzung vieler rechtsstaatlicher Prinzipien weist erhebliche Parallelen mit der McCarthy Epoche auf. Tatsächlich jedoch bedeutet die Bush-Doktrin eine noch fundamentalere Abkehr von der Bindung politischen Handelns an rechtliche Normen. Diese Ideologie stilisiert unilateralen präemptiven Einsatz von militärischer Gewalt geradezu als moralischen Imperativ der Selbstverteidigung der als freiheitlich definierten Ordnung.

Der politischen Figur beider Ideologien ist gemeinsam, dass der Gegner verdeckt handelt und in seinem Handeln an keine moralischen Normen gebunden ist. Während der Weltkommunismus noch eine geographische Heimat bei weltweitem Handlungshorizont hatte, ist der internationale Terrorismus oder wie man genauer formulieren müsste, sind die internationalen Terrorismen ohne Territorialität. Die Instrumente gegen den Weltkommunismus waren Eindämmung und Abschreckung. Das Fehlen von Territorialität verleiht dem Regierungshandeln gegen den Terrorismus eine Beliebigkeit und macht es unüberprüfbar. Zudem kann willkürlich die taktische Notwendigkeit absoluter Geheimhaltung reklamiert werden, was der Regierung erlaubt, sich selbst terroristischer Mittel zu bedienen, ohne dass dies erkennbar wird.

Solange die Bush-Doktrin darauf verzichtet, strukturelle Faktoren zu analysieren, die ursächlich zu terroristischen Handlungen als Ausdruck fehlgeleiteter, gleichwohl aber politischer Strategien führen, kann sie ihren Erfolg bei ihren Wählern einzig mit der eigenen Militanz demonstrieren. Ihre imperiale Politik entwickelt keine Maßstäbe, die es ihr erlauben würden, mit politischen Mitteln terroristische Handlungsdispositionen einzuhegen. Diese strategische Blindheit des erklärten Krieges gegen den Terrorismus provoziert unweigerlich Reaktionen, die wiederum als terroristische Akte wahrgenommen werden. Ohne Änderung seiner politischen Prämissen bleibt die Bush-Doktrin ein Perpetuum mobile der Gewalt, von Aktion und Reaktion ohne politische Perspektive.

7. Modernisierung und neoliberale Globalisierung als strukturelles Hindernis für konventionelle Kriege

Die mit dem Prozess beschleunigter Globalisierung einhergehende Modernisierung der Wirtschaft zeitigt tiefgreifende Veränderungen der Sozialstrukturen. An die Stelle relativ autonomer kleinräumlich integrierter Lebensweisen mit relativ großer Reproduktionselastizität treten mit der Liberalisierung der Finanzmärkte durchgängig vertikale global integrierte Produktionsweisen und Abhängigkeiten. Zudem treibt das hoch subventionierte Preisniveau der Nahrungsgüter auf dem Weltmarkt seit Jahrzehnten verarmte Landbevölkerung in die Armutsgürtel der Megastädte, die häufig bereits eine Mehrheit der gesamten Bevölkerung beherbergen. Insgesamt hat sich die infrastrukturelle und logistische Verletzlichkeit menschlichen Lebens bzw. Reproduktion weltweit dramatisch erhöht. Am oberen Ende sozialer Hierarchien und in Industriestaaten ist Leben bei Ausfall allein der elektrischen Energieversorgung in kürzester Frist gefährdet, während die verarmten Massen am unteren Ende über keinerlei wirtschaftliche Reserven verfügen und bereits bei geringfügigen Störungen des zumeist informellen Wirtschaftsprozesses unmittelbar ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. In den ländlichen Räumen ist fast überall an die Stelle relativ autonomer Kleinbauern vertikal integrierte industrialisierte Landwirtschaft getreten, die ebenfalls gegenüber infrastrukturellen und logistischen Störungen extrem anfällig ist und in vielen Fällen nach nur wenigen Tagen Störung implodiert. Damit entfallen ländliche Räume als Rückzugs- und Überlebensräume für die von Kriegshandlungen direkt betroffene Zivilbevölkerung großer Städte. Noch im 2. Weltkrieg hatte die Landverschickung die Kriegsführungsfähigkeit des Dritten Reiches deutlich verlängert.

Diese veränderte Situation zeitigt Auswirkungen auf Möglichkeiten klassische zwischenstaatliche Kriege oder auch innergesellschaftliche Kriege um die politische Hegemonie nach Art sogenannter Befreiungskriege zu führen. Die politikwissenschaftlichen Befunde, dass Demokratien untereinander weniger zu Kriegen neigen, spiegeln wahrscheinlich nur die stark erhöhte Verletzlichkeit moderner Lebensweise in entwickelten Industriegesellschaften, auf die sich die demokratische Regierungsform im wesentlichen beschränkt , durch unvermeidliche infrastrukturelle und logistische Störungen als Folge von Kriegshandlungen wider. Sie lassen es unrealistisch erscheinen, ein politisches Ziel mittels Krieg durchzusetzen. Das absehbare Ausmaß einer allseitigen humanitären Katastrophen als Folge von Krieg macht kriegerischen Konfliktaustrag politisch zunehmend obsolet(21).

Aber auch die Lebenswelten in typischen Dritte-Welt Staaten mit ihren fragilen urbanen Ballungsräumen, in denen die armen Massen "just in time" wirtschaften und überleben, deren Reserven im Falle einer Störung des wirtschaftlichen Ablaufs kaum mehr als 48 Stunden reichen, würden sich als Folge von Kriegshandlungen unmittelbar in humanitäre Katastrophen verwandeln. Die unvermeidliche mediale Präsenz solcher Megakatastrophen wird es in Zukunft für Hegemonialmächte schwierig machen, territoriale Feldzüge wie gegen den Irak politisch durchzustehen. Gewalttätiger Konfliktaustrag wird damit nicht verschwinden, wahrscheinlicher ist eine Transformation zu deterritorialisierten Formen(22) selektiven staatlichen und nichtstaatlichen Einsatzes von Gewalt zur Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Ziele. Diese These wird durch den Befund im folgenden Abschnitt bestätigt, dass die USA es beim Irak mit einer singulären Situation zu tun hatten, die eine konventionelle Kriegführung mit vergleichsweise geringen zivilen Kollateralschäden, wie es im militärischen Sprachgebrauch trocken beschrieben wird, möglich machte.

8. Die Einmaligkeit der Situation im Irak

Die irakische Zivilbevölkerung war in singulärer Weise auf ein Überleben trotz massiver Störungen der wirtschaftlichen Zirkulation als Folge des konventionell geführten Angriffs einer Koaltition unter Führung der USA vorbereitet. Über zehn Jahre Sanktionspolitik auf der Grundlage von UN Resolutionen hatten mit dem Öl für Lebensmittelprogramm, dessen Umsetzung in den Händen der Vereinten Nationen lag, zu einer zentralverwaltungswirtschaftlichen Struktur geführt, von der die gesamte Bevölkerung erfasst wurde. In kaum einem anderen Land war die vollständige Erfassung der Bevölkerung bürokratisch so entwickelt wie im Irak. Die Praxis egalitärer Zuteilung von Lebensmitteln führte zu einer außerordentlichen Versorgungssicherheit, wenn auch über lange Perioden auf niedrigstem Niveau. In Erwartung von Störungen bei der Verteilung von Lebensmitteln wurden jedoch vor Ausbruch der Kampfhandlungen Lebensmittelzuteilungen sechs Wochen bis zwei Monate im Voraus verteilt, so dass für die Dauer des Krieges weitestgehend Versorgungssicherheit, wenn auch auf bescheidenem Niveau, gegeben war.

Hieraus erklärt sich, dass es im Irak während des Krieges keine massiven Fluchtbewegungen der Zivilbevölkerung gegeben hat. Die internationale humanitäre Industrie hatte vor allem in Jordanien hastig Flüchtlingslager errichtet. Es entsprach allen Erfahrungswerten aus der Vergangenheit, dass die Kriegshandlungen Fluchtbewegungen auslösen würden. Denn, wo immer die Versorgungssicherheit von kontinuierlichem Funktionieren der Warenzirkulation und Märkten zur Verteilung der (Über)Lebensgüter abhängt, gefährden Kriegshandlungen unmittelbar und weitreichend die Versorgungslage.

Zur Veranschaulichung stelle man sich vor, die Vereinigten Staaten würden Mexiko, Brasilien oder Südafrika jeweils von der nördlichen Landesgrenze aus in ähnlicher Weise angreifen, wie dies im Irak der Fall war, dann wäre mit einem raschen Zusammenbruch der in normalen Zeiten bereits fragilen Versorgungslage riesiger Menschenmassen in den metropolitanen Ballungsräumen zu rechnen. Hierzu reichen die zu erwartenden Störungen(23) durch geographisch noch entfernte Kriegshandlungen bereits aus. Die entstehende Knappheit der Versorgung setzt sich unter Marktbedingungen, wie sie, mit der Ausnahme des UN-Programms im Irak, nahezu überall herrschen, in eine menschliche Triage vermittels von Spekulationspreisen für Lebensmittel um.

In der hier vorgetragenen Logik spricht einiges dafür, dass der Irakkrieg für die konventionellen Streitkräfte der USA eine singuläre, vielleicht die letzte Chance war, ihre Nützlichkeit für die Politik(24) zu beweisen, sich scheinbar in Wert zu setzen und damit die budgetmäßige Fortschreibung dieser dinosaurusartigen Korporation auf Jahre zu sichern. Betrachtet man die Festschreibungen von militärischen Beschaffungsprogrammen, die zum Teil noch im Kalten Krieg konzipiert worden waren, durch den Kongress in der jüngsten Zeit, vor allem im Bereich bemannter Kampfflugzeuge, dann gewinnt man den Eindruck, dass das zynische Kalkül(25) der Streitkräfte insgesamt trotz der enormen Rivalitäten untereinander aufgegangen ist.

Unabhängig von der Beschädigung seiner Handlungsfähigkeit durch das Irak-Abenteuer kann wegen der beschriebenen strukturellen Schranken für die USA keine Rede davon sein, dass man die militärisch erfolgreiche Operation gegenüber anderen unbotmäßigen Staaten in der Region oder anderweitig wiederholt. Wegen der geänderten strukturellen Gegebenheiten der Lebensverhältnisse weltweit wird sich das imperiale militärische Potenzial politisch zunehmend als ein Papiertiger erweisen, dessen unerreichtes militärisches Zerstörungspotenzial nicht geeignet ist, Interessen durchzusetzen, weder imperiale noch politische.

9. Die Bushdoktrin als Wiederspiegelung des Kampfes um die politische Macht in den Vereinigten Staaten

Es kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, auf die politische Ökonomie des Irakkrieges ausführlich einzugehen. Negativ kann man aber formulieren, dass es keine erkennbare kohärente Kapitallogik gibt, die als treibende Kraft die Bush-Regierung in diesen Krieg getrieben haben könnte. Nicht einmal die internationalen Ölkonzerne dürften die militärische Besetzung der irakischen Ölquellen und die angestrebte Schaffung eines demokratischen Staates favorisiert haben. Denn als effizienteste Sicherung von Lizenzen zur Förderung von Öl hat sich in den letzten 100 Jahren die Zusammenarbeit mit korrupten Potentaten(26) erwiesen, die die notwendige soziale Kontrolle der von den Förderungsgewinnen ausgeschlossenen Menschen kostengünstig erledigen.

Die weitgehende Externalisierung der sozialen Kosten der Erdölausbeutung würde sowohl bei einer kolonialen Lösung des Zugangs zu Erdölvorkommen als auch im Falle einer Schaffung eines demokratischen Souveräns sich wesentlich schwieriger gestalten. Im ersten Falle würde der amerikanische Steuerzahler auf längere Sicht darauf bestehen, dass die Kosten einer quasi-kolonialen Kontrolle auf die Erdölproduktion überwälzt würden. Im zweiten Falle müssten die Erdölkonzerne damit rechnen, dass der demokratische Souverän auf einer höheren Beteiligung an den Förderungsgewinnen besteht als sie typischerweise an diktatorisch regierte Förderländer oder an korrupte Eliten gezahlt werden. Ein Blick auf die politische Verfassung von bedeutenden Erdölförderländern bestätigt die Präferenz korrupter diktatorischer politischer Regulation, mit der sowohl die Hauptkonsumenten(27) als auch die großen Konzerne gut leben können.

Daher sind die treibenden Kräfte zu diesem Krieg eher in einer längst mit demokratischen Regeln brechenden vor allem innenpolitischen Auseinandersetzung um die Macht in den USA zu finden. Analog zu den kurzfristigen Imperativen der internationalisierten Finanzmärkte(28), die es Unternehmen nicht länger gestatten, langfristige Strategien zu entwickeln, bestimmt die Fähigkeit, finanzielle Ressourcen für mediale Wahlkämpfe durch inkohärente Zusagen an ein Konglomerat von Interessengruppen(29) zu kumulieren, zunehmend die Ergebnisse von Wahlen. Zur Abstimmung bei Wahlen, insbesondere zur Präsidentschaft stehen weniger alternative strategische Doktrinen für amerikanische Politik als konkurrierende Bündel partikularer Erwartungen an den jeweiligen Kandidaten, die überwiegend mit dem Scheckbuch erworben werden.

Mit der fundamentalistischen Figur der "Achse des Bösen" hatte sich Bush zu Beginn seiner Amtszeit eine polarisierte internationale Situation mit zu absoluten Gegnern erklärten schwachen Staaten geschaffen. Dies würde es ihm jederzeit erlauben, auf vermeintliche Bedrohungen reagierend sicherheitspolitische Kompetenz zu demonstrieren, um von anderen z.B. wirtschaftspolitischen Problemen abzulenken. Für Präsident Bush ergab dann der 11. September die scheinbare Chance, sich dauerhaft über den Wettbewerb politischer Doktrinen zu stellen, indem er versuchte, sich als entschlossener, über den Parteien stehender Retter der amerikanischen Nation vor den ruchlosen Angriffen des internationalen Terrorismus zu präsentieren und endgültig Widersprüche und kumulative Schäden seiner klientelistischen Wahlversprechen zu verdecken. Bei diesem Vorgehen hat Bush viel politisches Kapital der USA aufs Spiel gesetzt und, so wie es aussieht, langfristig vernichtet. Selbst wenn ihm seine Wiederwahl im Kontext des von ihm ausgerufenen "nationalen Sicherheitsstaates" gelingen sollte, wird er sich entweder mit einschneidenden Korrekturen seiner bisherigen Politik abfinden müssen oder aber er muß die Erosion rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien dramatisch in Richtung auf einen "totalen Sicherheitsstaat" beschleunigen, was einer dem Faschismus ähnliche Reaktion auf die gegenwärtige Krise gleich käme.

10. Die Krise der globalen Regulierung und die Grenzen der Bushdoktrin

Der neoliberale Diskurs über die Regulierung der Weltwirtschaft stellt auf wirtschaftliche Wachstumsraten ab und suggeriert, dass Wirtschaftswachstum das einzig geeignete Instrument zur Überwindung von Armut darstellt. Als Beleg wird in jüngster Zeit der Befund angeführt, dass die Zahl extrem armer Menschen in erster Linie in jenen Ländern abnimmt, die überdurchschnittliche Wachstumsraten aufweisen. Tatsächlich entfällt der überwiegende Teil der Reduktion von in absoluter Armut lebenden Menschen im letzten Jahrzehnt auf China(30). Die Verteilungsproblematik wird im neoliberalen Diskurs als nachrangiger Gegenstand von wirtschaftlicher Regulation betrachtet.

Dem steht die weltgesellschaftliche Realität gegenüber, die von einem massiven Anwachsen des Bevölkerungsanteils gekennzeichnet ist, der außerhalb der Sphäre regulärer Ökonomie sein Überleben in informellen Sphären organisieren muss. Die Versorgung mit öffentlichen Gütern ist in solchen sozialen Räumen stark defizitär. Der Staat leistet es u.a. nicht, das Monopol legitimer Gewalt wahrzunehmen. Sicherheit als öffentliches Gut wird durch einen Markt(31) privater, oft krimineller Anbieter von Sicherheitsdienstleistungen ersetzt. Von diesem Ausschluss aus der regulären Ökonomie sind weit überdurchschnittlich junge Menschen betroffen. Sie erfahren den Ausschluss, von dem in vielen Ländern mehr als die Hälfte junger Menschen betroffen ist, als "intergenerationelle Apartheid"(32).

Der herrschende Regulationsdiskurs negiert diese Lebenswelten und übersieht deshalb, dass sich parallel und reflexiv zum Prozess der Globalisierung dynamische (Über-)Lebenswelten entfalten, die ihrerseits transnationale Zirkulationssphären mit globaler Reichweite ausbilden. Die Weltgesellschaft transformiert sich zu einer symbiotischen Dualität von Globalisierung und Schattenglobalisierung. Diese Realität der Weltgesellschaft bedeutet, dass Überweisungen aus legalen und illegalen Arbeitseinkommen von Migranten aus der Diaspora in vielen Ländern die bedeutendste Deviseneinnahme und zugleich Überlebensrente großer Bevölkerungsgruppen bilden. Die reale Entwicklung der Weltgesellschaft ist längst der Kontrolle der vermeintlichen Regulationsmonopolisten IWF, Weltbank und G-8 entglitten.

Das Paradigma von Demokratie und Markt als sich zwangsläufig entfaltende systemische Folge marktwirtschaftlicher Regulation, das als "Ende der Geschichte" gefeiert wurde, beschreibt bestenfalls ein wahrscheinlich zunehmend kleiner werdendes Segment der Weltgesellschaft. Die hegemoniale Ideologie der Bushdoktrin beruht aber gerade auf dem illusionären Sendungsbewusstsein, dass es möglich sei, im Zweifelsfalle auch mit Gewalt und militärischen Mitteln(33) diesem Paradigma weltweit endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Die Perspektivlosigkeit dieser Doktrin rührt von der Staatlichkeit zurückdrängenden neoliberalen Regulation, die sich sowohl offen in der großen Zahl gescheiterter oder scheiternden Staaten widerspiegelt als auch, eher verdeckt, als sozialer Ausschluss von Menschen manifestiert, die dazu verdammt sind in Informalität und Ilegalität zu leben. Dies betrifft auch die westlichen Industriestaaten, allein in den USA wird die Zahl der illegalen Einwanderer und damit auch Arbeitskräfte(34) auf zehn Millionen geschätzt. Die neoliberale Regulation der Globalisierung generiert mit der Schattenglobalisierung ihren systemischen Gegenpol, dessen Regulation ohne rechtliche Rahmenbedingungen durch personale Netzwerke geleistet wird. Sanktionsmittel sind private Gewalt und deren glaubwürdige Androhung, die als (markt-)regulative Gewalt fungiert. Neoliberale Globalisierung und Schattenglobalisierung sind durch Sphären symbiotischen Austauschs miteinander verflochten, in denen kriminell angeeignete Werte und illegale Dienstleistungen in die legale Zirkulationssphäre eingeschleust werden. Die "Schleuser" werden dabei mit Extraprofiten belohnt.

Die neoliberale Globalisierung beschleunigt die Polarisierung des menschlichen Habitat in "gated communities" des Wohlstands und die Lebenssphären schattenwirtschaftlicher Globalisierung. In diesem Prozess reduziert sich die Reichweite von Staatlichkeit und damit einerseits die gesellschaftliche Bereitschaft, zur Reproduktion von Staatlichkeit durch Zahlung von Steuern beizutragen und andererseits die Fähigkeit des Staates die wirtschaftlichen Erträge seiner Bürger zu besteuern. Dies gilt gleichermaßen für die OECD-Staaten wie für die Dritte Welt. Angesichts der ökonomisch bedingten sozialen Polarisierung erscheint es wenig aussichtsreich, auf eine symbiotische Entfaltung von Markt und Demokratie zu hoffen. Im Gegenteil, auch in den Vereinigten Staaten läuft die Entwicklung auseinander. Die Umsetzung der Bushdoktrin verschlingt erhebliche staatliche Finanzmittel, zugleich erzwingt die Klientel der Bushmannschaft massive Steuerkürzungen, so dass die Schere zwischen den finanziellen Anforderungen der Bushdoktrin des "totalen Sicherheitsstaates", dessen Aktionsraum sich präventiv auf die ganze Welt(35) erstreckt, und dem finanziellen Vermögen des Staates dramatisch auseinanderläuft.

Bezüglich der globalen Interessen der Vereinigten Staaten bedeutet dies, dass der amerikanische Staat mit der Bushdoktrin mittelfristig völlig überfordert ist. Amerikanischen Interessen kann weder auf Dauer mit militärischen Mitteln Nachdruck verliehen werden noch können sie so umfassend geschützt werden, ohne noch größere Widersprüche zu provozieren. Das wahrscheinlichere Szenario läuft darauf hinaus, dass die Akteure auf den weltweiten deregulierten Märkten den hohen Kosten der Reproduktion umfassender Staatlichkeit ausweichen d.h. Steuerzahlungen stark mindern werden und stattdessen rationalem Kostenkalkül folgend ihr Anlagevermögen in Form von "Exklaven der Sicherheit" mit Hilfe privater Sicherheitsdienste und Militärunternehmen absichern werden. Teilweise geschieht dies heute bereits. Parallel zur weltweiten Expansion sozialräumlicher Organisation in "gated communities" und ähnlichen spatialen Formen der sozialen Segmentierung kommt es zu substaatlichen territorialen Aufteilungen und Differenzierungen von Staaten in "régions utiles" und dem großen Rest, den "Bantustans" des 21. Jahrhunderts. Die offensichtliche Disparität zwischen der Bushdoktrin und der eigengesetzlichen Dynamik neoliberaler Doktrin verschärft die globale Krise, birgt aber zugleich ein Potential zur Überwindung der Bushdoktrin, die sich der Evolution des Völkerrechts in dramatischer Weise entzogen hat. Dies wäre zugleich eine notwendige Voraussetzung, um den Diskurs um neue Formen globale Regulierung von Wirtschaft voran zu bringen und den Prozess fortschreitender Polarisierung in Globalisierung und Schattenglobalisierung umzukehren.

Fußnoten

[1] Die manipulative, auf verschiedene Zielgruppen ausgerichtete Berichterstattung dieser Medien ging soweit, dass CNN es notwendig fand, das weltweite Programm bereits im Vorlauf des Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und Europa zu trennen, weil man eine Beeinträchtigung der Einschaltquoten in Europa durch den aggressiven Patriotismus befürchtete, den man in der Konkurrenz mit Fox für den US-Markt im Programm pflegen musste. Daher gab es im Programm des CNN zwei verschiedene Irakkriege, einen amerikanischen und einen europäischen, was den Zuschauern verborgen blieb.

[2] Es scheint sicher, dass das Pentagon gegen den Smith-Mundt Act von 1946 verstoßen hat, der es verbietet, die eigene Bevölkerung zu täuschen.

[3] Die Wechselkursschwankungen zeigen die methodischen Mängel von Indikatoren auf, die üblicherweise den Dollar als gemeinsamen Nenner verwenden. Die durch Schwankungen veränderten Proportionen schmälern die absolute Asymmetrie zwischen den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt jedoch keineswegs.

[4] Sie gehen voll zu Lasten der amerikanischen Volkswirtschaft. Der erste Golfkrieg am Ende des Kalten Krieges hingegen bedeutete für die US-Streitkräfte einen extra-budgetären Modernisierungsschub, denn Japan, Deutschland und arabische Erdöldynastien hatten die amerikanischen Aufwendungen im zweistelligen Milliardenbereich (US-$) voll übernommen.

[5] In vielen schwachen Staaten alimentiert der Staat die Angehörigen seiner Sicherheitsorgane unzureichend, was zur Folge hat, dass sie in ihrem Bemühen, sich ein Einkommen auf eigene Faust zu beschaffen, zu einer Bedrohung der Zivilbevölkerung werden und entweder zu informellen privaten Sicherheitsfirmen oder kriminellen Vereinigungen degenerieren.

[6] Alain Joxe, L'empire du chaos, Paris (La Découverte) 2002.

[7] Widerstand kam vom Militär, dass eine erhebliche Verschlechterung der Qualität der Rüstungsgüter und eine weitere Verschlechterung seiner Verhandlungsposition gegenüber der Industrie befürchtete.

[8] Die zunehmend verschlechterte Wettbewerbsposition von Boeing auf dem Markt für Zivilflugzeuge und die jüngsten Skandale bei der Erschleichung von Rüstungsaufträgen passen in das Bild eines von Marktmechanismen isolierten Rüstungskomplexes. Dazu passt auch, dass die leistungsfähigsten innovativen Drohnen, die im Irakkrieg eingesetzt wurden, nicht von der mit Forschungsgeldern überhäuften etablierten Rüstungsindustrie entwickelt wurden, sondern von General Atomics Aeronautical Systems, einem Neueinsteiger.

[9] Bereits in den frühen neunziger Jahren wusste man um diese Veränderung. Zivile Informationstechnologie war zum wichtigsten Baustein der Rüstungsfertigung geworden. Dennoch belief sich der militärische Marktanteil in dieser Branche auf kaum zwei Prozent. Das Fehlen entwickelter ziviler Industrien in der Sowjetunion und damit auch leistungsfähiger Informationstechnologie war einer der zentralen Gründe dafür, dass die Sowjetunion schließlich den Rüstungswettlauf verloren hat und die systemische Implosion nicht mehr zu verhindern war.

[10] Robert Wall, Sharpening the Sword, in: Aviation Week & Space Technology, February 23, 2004, p.80-83.

[11] Für Indonesien in Aceh, Nigeria im Delta und Kolumbien ist das detailliert belegt.

[12] Eine umfassende Darstellung privater militärischer Dienstleistungen bietet: P.W.Singer, Corporate Warriors The Rise of Privatized Military Industry, Cornell University Press, 2003.

[13] Es gibt Anzeichen, dass die außerordentliche Nachfrage nach privaten Sicherheitsdienstleistungen, die von der Koalition im Irak ausgeht, die Rekrutierungsbasis dieser Branche deutlich internationalisiert hat.

[14] Die Weigerung terroristische Akte vor allem als eine fatale Manifestation irregeleiteten politischen Handelns zu begreifen, verstellt die Möglichkeit, komplexe Ursachensyndrome zu analysieren, aus denen realitätstüchtige Strategien der Transformation terroristischer Motivationen in politisches Handeln abgeleitet werden könnten.

[15] "Nationaler Sicherheitsstaat" impliziert eine über der Verfassung stehende Prärogative der Exekutive zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus, wie sie u.a. von den Militärdiktaturen der siebziger Jahre in Lateinamerika gegenüber der "kommunistischen Gefahr" reklamiert wurde.

[16] Neokonservativer Projektionen zufolge war der Irakkrieg eine letzte notwendige Manifestation militärischer Überlegenheit, die eine Ein- und Unterordnung in die amerikanische Hegemonie zum Selbstläufer macht.

[17] Hiermit wird das in Entwicklung befindliche Panoptikum sog. Non-lethal weapons begründet. Einen Überblick gibt: Dion Grieger, An Overview of Crwad Control Theory and Considerations for the Employment of Non-Lethal Weapons, Australian Government Department of Defence 2003.

[18] Siehe hierzu: Joseph Lelyveld, In Guantánamo, in: The New York Review of Books, November 7, 2002, S.62-68.

[19] Diese Transformation schlägt sich auch in aggressiver Konkurrenz um Kompetenzen zwischen den Teilstreitkräften, verschiedenen Geheimdiensten und Einrichtungen, die unter dem Dach des neuen Superministeriums "Homeland Security" operieren.

[20] Siehe hierzu: Peter Andreas and Rrichard Price, From War Fighting to Crime Fighting: Transforming the American National Security State, in: International Studies Quarterly, Vol.45, No.1, 2001, S.31-52.

[21] Hiermit sind ausdrücklich nicht die vorgestellten Folgen des Versagens der gegenseitigen Abschreckung mit Nuklearwaffen im Kalten Krieg gemeint, sondern der Sachverhalt, dass mäßige Störungen der Warenzirkulation in modernen Gesellschaften in kurzer Zeit lebensbdrohliche Dimensionen erlangen können, denen man nicht länger durch einen Rückzug in ländliche Räume entfliehen kann.

[22] Dieser Formenwandel wird in einer Aufsatzsammlung unter dem Titel "Kriege als (Über)Lebenswelten" diskutiert. Sabine Kurtenbach, Peter Lock (Hg.), Bonn (Dietz-Verlag) 2004.

[23] An dieser Stelle mag der Einwand kommen, dass das Milosevich Regime in Serbien-Montenegro vergleichsweise lange gegen NATO-Angriffe auf die Infrastruktur standgehalten hat. Die relative Versorgungssicherheit trotz der massiven infrastrukturellen Zerstörungen durch die NATO-Angriffe beruhte auf dem Überleben kleinbäuerlicher landwirtschaftlicher Produktion und einer häufigen Verbindung von industrieller Lohnarbeit und Bewirtschaftung von kleinem Landbesitz zusätzlich zur Aufrechterhaltung familiärer Stadt-Land Bindungen. Die im globalen Wettbewerb gemessene Rückständigkeit der Landwirtschaft, die Kollektivierung der Landwirtschaft war nach 1945 nicht durchsetzbar, hatte dem Regime zu einer im internationalen Vergleich untypischen Versorgungselastizität angesichts massiver infrastruktureller und logistischer Störungen durch Kriegshandlungen verholfen.

[24] Hierzu war es notwendig, die Wahrnehmung der Kriegsfolgen in der Öffentlichkeit manipulativ zu kontrollieren. Das "embedding" von Journalisten war insofern erfolgreich, als die Selbstzensur der beteiligten Journalisten dazu geführt hat, dass Zahlen über Opfer beim irakischen Militär bis heute nicht ermittelt wurden. Es gibt die plausible Vermutung, dass die Zahlen sehr hoch waren, weil der Vormarsch mit "air fuel" Bomben jeweils vorbereitet wurde, was zum Tod der in Verteidigungsstellungen liegenden Soldaten aufgrund der Druckwellen führt. Die umstandslose Auflösung der irakischen Armee durch den sog. US-Zivilverwalter könnte der Verschleierung dieses Sachverhaltes gedient haben. Die Zahl der zivilen Opfer wurde penibel bis zum "Ende der Kampfhandlungen" registriert, um die Führbarkeit militärischer Operationen unter Einsatz von Hochtechnologie zu beweisen. Die Opfer des folgenden Besatzungsregimes unter der Zivilbevölkerung werden hingegen nicht mehr registriert.

[25] Das Kalkül ist zynisch, weil man wider besseres militärisches Wissen, dem Druck der neokonservativen politischen Führung nachgegeben hat und den Krieg mit einer an der Aufgabe gemessen zu geringen Truppenstärke angegangen hat.

[26] Wegen der strategischen Bedeutung der Ölversorgung für die westlichen Industrienationen können sich solche Potentaten meist mehr oder weniger verdeckter Unterstützung sicher sein.

[27] Das Beispiel der Sowjetunion, die seit den siebziger Jahren ihren Niedergang durch die Lieferung von Energie an den kapitalistischen Feind aufzuhalten versuchte, zeigt, dass Erdölreserven nur in Zusammenarbeit mit den großen OECD-Staaten in Wert gesetzt werden können.

[28] Der Primat der Finanzmärkte zwingt Unternehmen langfristige Wertentwicklung und potentielle Vernichtung von eigenem Kapital gegenüber kurzfristiger Gewinnmaximierung zu vernachlässigen. Dies hat in der Degeneration der politischen Kultur und den Machtmechanismen in der amerikanischen Politik ihre Entsprechung.

[29] Der Zusammenhang zwischen Wahlkampffinanzierung und der Politik der Regierung zeigt sich am deutlichsten bei der Ablehnung der Kyoto-Protokols durch die Bushregierung und die Deregulierung von Umweltpolitik. Siehe u.a.: Bill McKibben, Crossing the Red Line, in: New York Review of Books, June 10, 2004, S.32-63.

[30] Dieser Sachverhalt verträgt sich schlecht mit dem geradezu missionarisch vorgetragenen neoliberalen Paradigma, demzufolge Markt und Demokratie ein Symbiose bilden. Dass die autoritäre, menschenrechtsverachtende Regulation in China zum Kronzeugen für die Überlegenheit neoliberaler Wirtschaftspolitik bei der Armutsbekämpfung herhalten muss, erzeugt zumindest Diskussionsbedarf.

[31] Sicherheit wird zur Ware. Ihr Erwerb hängt von der individuellen Kaufkraft ab, am unteren Ende der sozialen Pyramide in den Armutsgebieten herrschen lokale kriminelle Gewaltmonopolisten und erbringen alternativlose "Sicherheitsdienstleistungen", die den Charakter von Schutzgelderpressung tragen.

[32] Diese Befindlichkeit wird weltweit in den kodierten Jugendmusikulturen von Rap und Hiphop artikuliert.

[33] Ein erfolgreicher Irakkrieg sollte amerikanischen Drohungen, sich Markt und Demokratie zu öffnen, Glaubwürdigkeit verleihen und weiteren Einsatz des Militärs zur Durchsetzung von Regimewechseln überflüssig machen.

[34] Das andauernde Wachstum der amerikanischen Volkswirtschaft ohne wesentlichen Inflationsdruck wird von zahlreichen Ökonomen auf diese "Reservearmee" billigster Arbeitskräfte zurückgeführt.

[35] Dies folgt zwangsläufig aus dem Kernstück der Bushdoktrin, dem "Krieg gegen den Terror", da dieser Gegner territorial nicht verortet werden kann. Ebenso ist ein endgültiger Sieg über Terrorismus nicht beweisbar. Daher endet diese Doktrin als Perpetuum mobile präventiver Interventionen und Gewalt.