Dr. Peter Lock |
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Historische ErfahrungenRüstungskonversion – zwischen Ideologie und RealitätNach beiden Weltkriegen war es deutschen Unternehmen untersagt, Rüstungsgüter herzustellen. Entsprechend waren Unternehmen, die sich in der Rüstungsfertigung engagiert hatten, gezwungen, ihr Fortbestehen durch die Produktion ziviler Güter zu sichern. Zunächst jedoch wurde jeweils der größte Teil der Belegschaft entlassen. In dieser Zwangslage haben die betroffenen Unternehmen engagiert die Entwicklung ziviler Produkte vorangetrieben. In den Firmengeschichten deutscher Waffenhersteller finden sich lange Listen mit Produkten, mit denen Waffenhersteller sich auf zivilen Märkten zu behaupten suchten. Sie reichen von Landmaschinen (Rheinmetall nach dem 1. Weltkrieg) bis zu mechanischen Rechenmaschinen (Walther nach dem 2. Weltkrieg) und einem Kabinenroller (Messerschmitt). Häufig gelang es jedoch nicht, sich mit derartigen Konversionsprodukten am Markt durchzusetzen. Sobald die Produktionsverbote aufgehoben wurden, nahm man in der Regel die Fertigung von Rüstungsgütern wieder auf.
Die Konversionsdebatte während des Kalten KriegesBis in die siebziger Jahre war Rüstung eine Art Selbstläufer. Rüstungstechnologie wurde zur Arena stilisiert, in der die Systemkonfrontation entschieden werden würde. Die Sowjetunion wurde als eine aggressiv expandierende Weltmacht porträtiert. Die Dritte Welt galt als Schachbrett, auf dem die Konfrontation in Stellvertreterkriegen ausgetragen wurde. Allerdings hatte die beiderseitige Kumulation von Massenzerstörungswaffen zu so gefährlichen Situationen geführt, daß man nach der Kubakrise mit zunächst zaghaften Rüstungskontrollverhandlungen begann. Langsam nahm die Kritik am scheinbar zügellosen Rüstungswettlauf eine differenzierte Gestalt an und stellte die an technologischen Möglichkeiten orientierte Rüstungspolitik politisch in Frage. Mit dem Nachdenken über eine Einhegung der Rüstungsdynamik wurden Konversion und alternative Ressourcenverwendung zum Gegenstand breiter politischer Diskussion. Vom linken, kapitalismuskritischen Lager wurde das wohlfahrtsstaatliche Potential einer alternativen Ressourcenverwendung plakatiert, indem man Kampfflugzeuge gegen Kindergartenplätze aufrechnete. In einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen war 1978 erstmals von extrem schädlichen sozialen Folgen des Rüstungswettlaufs die Rede, der zudem einen wirtschaftlichen Ausgleich zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden verhindere. In Europa reklamierte Willy Brandt als Vorsitzender der Nord-Süd Kommission machtvoll die durch Rüstungskontrolle freiwerdenden Mittel für Entwicklung. Ende der achtziger Jahre schließlich war der Begriff Friedensdividende plötzlich in aller Munde. Die politische Euphorie, ob der durch Abrüstung freiwerdenden Mittel erreichte mit der Implosion der Sowjetunion schließlich ihren Höhepunkt. Im Bericht zur menschlichen Entwicklung des Jahres 1992 wurde eine globale Friedensdividende von 10 Trillionen Dollar für die gesamten neunziger Jahre vorausgesagt. Das alternativlose Beharrungsvermögen der rüstungsindustriellen LobbyWährend die Rüstungsindustrie in den USA in den achtziger Jahren unter Reagan eine Boomphase erlebte, kam der Sektor vor allem in Europa unter Legitimationsdruck. Dem stand die lange wenig hinterfragte Selbstdarstellung der Rüstungsindustrie als Innovationsmotor entgegen. Die Entwicklung militärischer Hochtechnologie sei für die Aufrechterhaltung der nationalen wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit geradezu unverzichtbar, behauptete die Rüstungslobby. Mit diesem Argument wurde die längst überfällige Konsolidierung des Rüstungssektors innerhalb der NATO verhindert. Erklärtes Ziel der Rüstungspolitik blieb es, umfassend nationale technologische Kompetenz vorzuhalten. Rüstungsbeschaffung wurde so simultanpolitisch als nationale Technologiepolitik verkauft. Vom Komputer bis zur Teflonpfanne wurden zahlreiche zivile Produkte angeführt, die aus militärischer Pionierforschung hervorgegangen seien. Mit anderen Worten: Wehe dem, der danach trachtete, diese Quelle des Fortschritts durch Konversion zu vernichten.
Rüstungsbeschaffung als Industrie- und regionale StrukturpolitikDer Kriegsschiff- und der Militärflugzeugbau zeichnen sich dadurch aus, daß militärische Großprojekte auch unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Subventionierung ziviler Wettbewerbsfähigkeit vergeben werden. Die bewußte Streuung und zeitliche Plazierung von Aufträgen im Marineschiffbau wurde häufig mit Stützung strukturschwacher Werftstandorte und der konterzyklischen Auslastung und Sicherung deutscher Werften im internationalen Wettbewerb im Handelsschiffbau entschieden. Beschaffungsentscheidungen im Militärflugzeugbau, wie zuletzt die Entscheidung für den A 400, waren immer auch auf eine Absicherung der Konkurrenzfähigkeit des zivilen Flugzeugbaus in Europa gegenüber Boeing gerichtet. Unter dem Gesichtspunkt militärischer Leistungsfähigkeit und Kosten wäre regelmäßig ganz anders zu entscheiden gewesen. Im Falle der zivilen Luftfahrtindustrie haben sich die USA und die EU auf Obergrenzen der Subvention geeinigt, so daß sich die Subventionskonkurrenz zwangsläufig auf den militärischen Flugzeugbau verlagert hat. Technologischer ParadigmenwechselEnde der achtziger Jahre wurden von der Behörde zur Abschätzung von Technologiefolgen umfangreiche Studien zur Importabhängigkeit der rüstungsindustriellen Basis in den USA in Auftrag gegeben. Es zeigte sich, daß die Fertigung komplexer militärischer Systeme in erstaunlich großem Umfang vom Import vor allem elektronischer Bauteile abhängig war. Etwa gleichzeitig veröffentlichte eine hochkarätige Forschergruppe ein Buch, in dem sie feststellte, daß sich die Richtung des Flusses technologischer Innovationen zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor deutlich umgekehrt habe. Während die militärische Forschung der Digitalisierung der Informationsverarbeitung den Anschub gegeben habe, seien es seit den siebziger Jahren die zivilen Märkte, die das Innovationstempo bestimmten. Aus dem Spinn-off militärischer Innovationen in zivile Märkte sei längst ein Spinn-in ziviler Komponenten in hochwertige militärische Systeme geworden. Das Innovationstempo der zivilen Industrien auf globalen Märkten wird in der Tat seit dreissig Jahren von hohen Forschungsinvestitionen großer Konzerne bestimmt, für deren Wettbewerbsposition auf globalen Märkten entscheidend ist, wie schnell eine Produkt- oder Fertigungsinnovation marktfähig ist. Aus dieser Logik ergeben sich Forschungsinvestitionen in einer Höhe, die selbst noch das große amerikanische militärische Forschungsbudget unbedeutend erscheinen lassen. Ähnliches gilt für die Kosten einer Produktionsanlage zur Herstellung von elektronischen Bauteilen, die mehr als eine 1 Mrd. ¤ betragen kann und aufgrund der schnellen Innovationszyklen in wenigen Jahren abgeschrieben werden muß. Militärspezifische Entwicklungen sind in diesen Feldern entweder nicht finanzierbar oder aber sie bleiben hinter den zivilen Entwicklungen technologisch um mehrere Generationen zurück.
Das große Mißverständnis: Gorbatchev und KonversionAls Gorbatchev die Macht im Kreml übernahm, war die sowjetische Ökonomie von Stagnation und die Gesellschaft von Unzufriedenheit mit dem System geprägt. Das politische und wirtschaftliche Mobilisierungspotential war in vielen früheren Kampagnen aufgebraucht worden, ohne langfristig die jeweils gesetzten Ziele zu erreichen. Gorbatchev versuchte innenpolitisch mit einer Anti-Alkoholkampage und außenpolitisch mit Abrüstung den Zerfall der sowjetischen Planwirtschaft abzuwehren. Was im Westen als Systemveränderung interpretiert wurde, war der verzweifelte, aber untaugliche Versuch durch Konversion, die Versorgung mit Konsumgütern zu verbessern.
Die große Illusion: FriedensdividendeDie erhofften Wohlfahrtgewinne und das Umverteilungspotential durch die Verminderung der Rüstungsetats in den neunziger Jahren traten zumindest in der erwarteten Form nicht ein. Dies war bei angemessener volkswirtschaftlicher Analyse der Konversionsproblematik auch nicht anders zu erwarten. Die teilweise euphorische Debatte in den achtziger Jahren stützte sich auf punktuelle Denkansätze, die eine beliebige, kostenneutrale Umwidmung militärischer Staatsausgaben unterstellt haben. In dieser Debatte wurden die Chancen der Konversion auf betrieblicher Ebene nicht ernsthaft geprüft, denn dann hätte man erkannt, daß Rüstungsproduktionskapazitäten zivilwirtschaftlich eine Fehlallokation darstellen. Deren Korrektur, also Konversion, erfordert einen erheblichen Kapitaleinsatz. Daher war es gänzlich unrealistisch, von einer unmittelbaren Verfügbarkeit einer Friedensdividende auszugehen. Das unzureichende Verständnis der Konversionsproblematik wurde allerdings durch das plakatierte Selbstporträt der Rüstungsindustrie als führender Hochtechnologiesektor befördert. Daran ist richtig, daß zur Rüstungsfertigung überwiegend besonders knappe und somit auch teure Produktionsfaktoren, vor allem qualifiziertes Personal, eingesetzt werden. Jedoch erfordert eine erfolgreiche Umstellung auf zivile Produktion eine anderes Qualifikationsprofil der Belegschaft und auch eine andere Produktionsgüterausstattung.
Antworten auf den militärischen Unilateralismus der USAEs wird seit dem 11. September viel davon gesprochen, daß Europa seine militärischen Aufwendungen angesichts des größer werdenden waffentechnologischen Vorsprungs der USA erheblich steigern muß. Selbst wenn Europa in diese Falle laufen sollte, dann bedeutet es für die verbliebene Rüstungsindustrie keineswegs einen deutlichen Auftragsschub, denn die militärische Nachfrage würde sich ändern und vor allem Informations- und Kommunikationssysteme betreffen.
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