Dr. Peter Lock
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letzte Änderung:03.01.2011
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Europas offene Adern

Mit Beginn der Bombardierung ist zum Vertreibungskrieg der Serben im Kosovo ein Luftkrieg gegen Militär und Infrastruktur in der Bundesrepublik Jugoslawien mit notwendig zunehmenden zivilen Begleitschäden hinzugekommen. Es handelt sich operativ um zwei getrennte Ereignisse, die sich in ihrem jeweiligen Ablauf gegenseitig verstärkt haben, auch wenn die NATO täglich das Gegenteil verlautbart. Konfrontiert mit der brutalen Realität dieser beiden Kriege auf dem Territorium von Restjugoslawien kann man sich nicht auf eine Insel politisch-moralischer Korrektheit oder Neutralität retten. Denn das Rad der Geschichte läßt sich nicht zurückdrehen, auch wenn es sich nur um einige Tage handelt.

Voraussetzung für eine Repolitisierung der NATO-Strategie

Wer Frieden in der Balkanregion will, muß Konzepte einbringen, die vom status quo ausgehend eine Perspektive eröffnen, die hilft, das Morden zu beenden und eine langfristige friedliche Bearbeitung der Konflikte einleitet. Es ist angesichts der permanenten medialen Dramaturgie der Kriegsberichterstattung zugegebenermaßen schwierig, bei der politischen Bewertung möglicher nächster Schritte das strategische Ziel einer konstruktiven Entwicklung in der gesamten Region im Auge zu behalten. Dennoch ist die Ausrichtung an einer langfristigen Perspektive notwendig, um den vielen Sackgassen zu entgehen, die sich aus der scheinbar effizienten, aber isolierten Lösung von unmittelbaren Problemen in einem von Emotionen gekennzeichneten Umfeld ergeben können.

Fluchtpunkt einer konstruktiven Entwicklung in der Region

Soll das Projekt eines vereinten Europa nicht zu einer Apartheidsordnung auf dem Kontinent führen und sich in eine Wagenburg des Wohlstands in seiner gegenwärtigen Ausdehnung verwandeln, dann müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit das gesamte Bündel an Kleinstaaten, plus Albanien, das aus dem ursprünglichen Jugoslawien hervorgegangen ist, als bereits integrierte Wirtschaftszone im Jahre 2010 gemeinsam beginnen kann, kollektiv die Beitrittsmodalitäten zur Europäischen Union auszuhandeln. Denn alternativ bleiben unweigerlich ein oder mehrere Pariahstaaten in Südosteuropa zurück, die das Potential haben, Europa insgesamt zu destabilisieren, sei es durch einen enormen Emigrationsdruck oder durch politischen Terrorismus. Auf der Folie dieses europäischen Lösungsansatzes sind alle militärischen, wirtschaftlichen und politischen Schritte, die diese Region betreffen, daraufhin zu prüfen, ob sie mit einer solchen Perspektive verträglich sind, besser noch für sie förderlich sind.

Unter dieser Hypothese, daß es im wohlverstandenen Eigeninteresse der Europäischen Union ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, Südosteuropa insgesamt möglichst rasch zu integrieren, erscheint die gegenwärtige faktische Umsetzung eines Morgenthau-Planes gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien als unausweichlicher Begleitschaden der gegenwärtigen NATO-Strategie sowohl politisch als auch ökonomisch konterproduktiv. Denn die Rückführung Serbiens zu einem Agrarland schafft den Nährboden für aggressive revanchistische politische Gruppierungen, die angesichts fehlender alternativer Artikulationsmöglichkeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit international zum Mittel des politischen Terrorismus greifen werden. Die breit verstreute serbische Diaspora und die porösen Arsenale im Bereich der ehemaligen Sowjetunion bieten hierfür optimale Operationsbedingungen.

Auch wenn derzeit vor allem das Flüchtlingselend der albanisch-stämmigen Bevölkerung des Kosovo wahrgenommen wird, so darf man jedoch nicht übersehen, daß die UCK viele organisatorische und politische Ähnlichkeiten mit palästinensischer Militanz nach dem schwarzen September im Jahre 1970 aufweist, der eine Phase weltweit operierenden politischen Terrorismus eingeleitet hatte. Da die Maximalforderungen dieser Gruppierungen sich nicht erfüllen werden, werden sie sich gleichfalls zu einem gefährlichen, destabilisierenden Faktor entwickeln, zumal sie im amerikanischen Kongreß potente Fürsprecher haben.

Die Bombardierung vor allem Serbiens durch die NATO ohne die dazu völkerrechtlich erforderliche Legitimierung durch die Vereinten Nationen begründet sich mit der Feststellung eines humanitären Notstandes, der ein Eingreifen im Zweifelsfalle auch ohne UN-Mandat geradezu imperativ nahelegt. Ganz gleich, ob man, wie der Verfasser, diese Weiterentwicklung völkerrechtlicher Normen akzeptiert, die politischen Schritte, die auf diese Bombardierung folgen, müssen deren Auswirkungen verarbeiten und auf dieser Grundlage dennoch nach Wegen suchen, die Südosteuropa als Ganzes rasch in die Europäische Union führen.

Da die Bombardierung bislang nicht zur Überwindung des beobachteten humanitären Notstandes beigetragen hat, im Gegenteil, es spricht vieles dafür, daß die Bombenangriffe zusätzliche Energien bei den Exekutoren der Vertreibungen freigesetzt haben, ist sie nicht länger zu legitimieren und müßte aufgegeben und zum Einsatz anderer Mittel führen.

Dies könnte der Einsatz von Bodentruppen im Kosovo zum Schutz der Flüchtlinge und gegen Vertreibungen sein. Alternativ könnte man Serbien, und wegen der Gleichbehandlung der ganzen Region, massive wirtschaftliche Hilfe im Tausch gegen die Beendigung der monströsen Menschenrechtsverletzungen anbieten, also das genaue Gegenteil zu dem tun, was man während der vergangenen Jahre versucht hat, während derer man mit wirtschaftlichen Sanktionen versucht hat, das Milosevic-Regime in die Knie zu zwingen. Getroffen hat das Emabrgo vor allem die Bevölkerung der Bundesrepublik Jugoslawien, die einem Verarmungsprozeß ausgeliefert ist, während sich die Nomenklatura des Regimes u.a. an der Kontrolle der embargobedingten Schwarzmärkte bereichert. Aus einer mittelfristigen Perspektive für die gesamte Region besteht jedenfalls keine Verhältnismäßigkeit zwischen dem eingesetzten Mittel der Bombardierung einerseits und dem vorgegebenen Ziel, die Flüchtlinge zu schützen, andererseits.

Ein Pakt mit dem "Teufel"

Das derzeit erklärte Ziel der Bombardierung ist eine Vereinbarung über einen Rückzug der bewaffneten Einheiten aus dem Kosovo mit Milosevic. Dabei ist die Frage zu stellen, ob vor dem Hintergrund von zehn Jahren Aufstachelung zum Krieg und Völkermord die Fehler des Dayton-Prozesses wiederholt werden sollen und Milosevic wieder zum zentralen Akteur einer völkerrechtlichen Vereinbarung aufgewertet werden darf. Die Konfliktstrategien des serbischen Regimes unter Milosevic, die der sog. Hufeisenplan der Vertreibung albanischer Bevölkerung aus einem serbisch reklamierten Territorium erneut in brutalster Weise dokumentiert, entstammen aus mittelalterlichen Wertvorstellungen und weisen Milosevic als einen Akteur aus, der völlig außerhalb aller gegenwärtigen Normen agiert. Man sollte meinen, daß dieser Akteur inzwischen jede Legitimation verwirkt hat, durch eine völkerrechtliche Vereinbarung an der Lösung der humanitären Katastrophe im Kosovo beteiligt zu werden. Denn die Erfahrung der letzten zehn Jahre zeigt, daß eine solche Beteiligung konterproduktiv ist und Milosevic jede Chance nutzen wird, die Durchsetzung seiner Ordnungsvorstellungen von Blut und Boden unter Einsatz von Gewaltmitteln weiter zu betreiben. Einer Ächtung steht freilich auch entgegen, daß das serbische Fernsehen bis in die jüngste Zeit bei Hofe des selbsternannten Führers aller Serben nahezu alles, was Rang und Namen in der Weltpolitik hat, vorführen konnte. Belgrad und der Präsidentenpalast mußte der serbischen Bevölkerung als Nabel der Weltpolitik erscheinen.

Daher ist Skepsis gegenüber der NATO-Linie angebracht, Milosevic an den Verhandlungstisch zu bomben. Denn dorthin wird dieser selbsternannte "Patriarch" aller Serben nur kommen, wenn ihm etwas angeboten wird, was zumindest teilweise seinen Zielen und seinem rassistischen Denken entspricht. Da es zur vollständigen Kapitulation im Kosovo keines Verhandlungstisches bedarf, liegt es in der Logik der NATO-Strategie, Milosevic Zugeständnisse zu machen. Äußerungen von Madleine Albright zu einer möglichen Teilung des Kosovo lassen erkennen, daß man fundamentale Rechte zumindest eines Teiles der Bevölkerung aufzugeben bereit ist. Realpolitik pur, die sich zynisch der Formel des humanitären Notstandes bedient, um eine Angriffshandlung zu begründen, die das proklamierte Ziel in so dramatischer Weise bislang verfehlt hat.

Unausweichliche Alternativen

Angesichts der fortgeschrittenen Eskalation setzt eine ehrliche Bearbeitung der humanitären Katastrophe unabdingbar voraus, daß das Territorium des Kosovo auf unbestimmte Zeit unter den Schutz und die Verwaltung einer internationalen Treuhandschaft gestellt wird. Dies setzt freilich die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft voraus, die Voraussetzung für eine derartige Treuhandschaft mit friedenserzwingenden Mitteln zu schaffen. Bodentruppen und langfristig bereitgestellte Sicherheitskräfte sind hierzu unabdingbar. Denn es gilt nicht nur irredentistische serbische Gruppierungen zu entwaffnen, vielmehr wird es auch notwendig sein, die UCK zu entwaffnen und revanchistische Lynchjustiz an serbischer Bevölkerung zu verhindern. Diese schwierige militärische Aufgabe stellt sich unabhängig davon, ob die treuhänderische Besetzung des Kosovo auf der Grundlage eines Vertrages mit Milosevic zustande kommt oder ob die Besetzung durch eine friedenserzwingende Operation erfolgt. Eine derartige Treuhandschaft beläßt grundsätzlich das Territorium dem restjugoslawischen Staat zugehörig, denn der befristete Eingriff in die Souveränität erfolgt aufgrund von schweren Menschenrechtsverletzungen und kann daher nicht der Ausgangspunkt für eine territoriale Neuordnung sein. Die Treuhandschaft kann dann aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für eine Rückführung in einen rechtsstaatlichen Verbund mit den anderen Teilen der Bundesrepublik Jugoslawien gegeben sind. Ist jedoch die internationale Gemeinschaft, gleich in welcher Konstellation sie als Akteur auftritt, nicht bereit diesen Schritt zu gehen, dann muß sie sich ehrlicherweise darauf beschränken, die Umsiedlung der kosovarischen Bevölkerung mit allen Mitteln zu fördern, um das menschliche Leiden den Umständen entsprechend so gering wie möglich zu gestalten. Zuletzt hat es solche Umsiedlungen in Europa am Ende des 2. Weltkrieges gegeben. Die Organisation der Aufnahme von etwa 10 Millionen Deutschen nach dem 2. Weltkrieg, die aus Ost- und Mitteleuropa vertrieben wurden, ist ein Beispiel. Im Falle der vertriebenen Bevölkerung aus dem Kosovo ist eine dauerhafte Integration in Albanien und anderen Kleinstaaten in der Nachbarschaft nicht realistisch. Daher wäre eine breit gestreute dauerhafte Aufnahme der Flüchtlinge eine unausweichliche Folge fehlender Bereitschaft, mit friedenserzwingenden Maßnahmen die Voraussetzung für eine Rückkehr zu schaffen.

Aus der Geschichte nichts gelernt

Die Friedenssehnsucht linker Gruppierungen in Deutschland, die alternativlos die Einstellung der Luftangriffe fordern, abstrahiert vom Trauma des Münchner Abkommens, das die politischen Diskurse in Frankreich und Großbritannien prägt. Viele Aspekte der gegenwärtigen Situation lassen sich mit München 1938 vergleichen. In Deutschland herrschte ein diktatorisches Regime, das sich ebenso wie das Milosevic-Regime auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stützten konnte. Die deutsche Intelligenz war durch massive Emigration dezimiert, Medien, Presse und Universitäten wurden von ideologischen Fanatikern und opportunistischen Karrieristen dominiert und waren gleichgeschaltet. Ein weitgehend identischer Ablauf kennzeichnet das gegenwärtige Belgrader Regime. Ein rassistisch und historisch konstruierter Anspruch auf das Sudetenland wurde in München dem deutschen Reich zugestanden und die Vertreibung der tschechischen Bevölkerung billigend in Kauf genommen. Nur Monate später hat Hitler-Deutschland den Münchner Vertrag gebrochen und die Resttschechei vereinnahmt. Will man die Wirkung des Luftkrieges auf Serbien ermessen, so ist es hilfreich, sich die deutsche Reaktion auf einen alliierten Luftkrieg gegen die militärische Infrastruktur der Wehrmacht statt der Unterschrift unter das wertlose Münchner Abkommen auszumalen. Das Ziel, die Rückkehr der vertriebenen tschechischen Bevölkerung zu ermöglichen, wäre mit Sicherheit nicht erreicht worden. Das NS-Regime wäre innergesellschaftlich gestärkt aus alliierten Bombardierungen hervorgegangen. Es fällt schwer, den Fall einer anderen Reaktion in Serbien zu konstruieren, auf den die NATO-Strategie zielt. Daher soll im weiteren Teil dieser Überlegungen auch der Frage nachgegangen werden, welche Interessen diese Einsicht über die eingeschränkten Wirkungen von Luftkriegsoperationen innerhalb der NATO verstellt haben. Gleichwohl gewinnt die Forderung nach sofortiger Einstellung der Bombardierung nur dann Legitimität, wenn sie mit einer konkreten alternativen Handlungsoption verknüpft ist. Die Eskalation nach dem Münchner Abkommen in den 2. Weltkrieg ist bekannt. Auch der politische Pfad eines zum Agrarland gebombten Serbien wird zur Destabilisierung der Region und wahrscheinlich ganz Europas führen. Deshalb muß das politische Handeln erkennbar auf den Fluchtpunkt einer vollständigen Integration Südosteuropas in die Europäische Union gerichtet sein.

Erwägt man einen Pakt mit dem Milosevic-Regime nach den Bombardierungen, was in etwa dem derzeit proklamierten Kriegsziel der NATO entspräche, dann folgt man auf den Spuren von Dayton amerikanischen Vorstellungen von militarisierter Sicherheit und sanktioniert eine territoriale Teilung des Kosovo und damit auch eine erzwungene Siedlungsordnung nach überholten ethnischen Kriterien. Vor allem würde bei einer Teilung des Kosovo die gegenseitig wettrüstende Kleinstaaterei in dieser Region weiter verstärkt. Dieses kurzfristige Lösungsmuster, das von der amerikanischen Seite in Bosnien unter Umgehung eines UN-Waffenembargos betrieben und mit dem Dayton-Abkommen ratifiziert wurde, ist für Europa nicht akzeptabel. Die ethnische Säuberung der Kraina-Region durch Kroatien war nur ein Vorspiel für einander ausschließende Visionen, die im Kontext bewaffneter Kleinstaaterei auf der Grundlage von mobiliserten ethnischen Identitäten nach Realisierung drängen.

Eine Lösung hingegen, die die Integrität des gegenwärtigen Territoriums Kosovo wahrt, käme einer Kapitulation des Milosevic-Regimes in diesem Punkt gleich und bedürfte folglich keiner substantiellen vertraglichen Regelung mit Milosevic, solange durch die treuhänderische Besetzung keine dauerhafte Veränderung nationalstaatlichen Status festgeschrieben wird. Die vorläufige Konsolidierung des Milosevic-Regimes Die militärischen Planer der NATO wußten um das Risiko des Scheiterns der Luftkriegsstrategie. Ihre Hoffnung war auf eine Schockwirkung nach den ersten drei Tagen ausgerichtet. Als die Schockwirkung ausblieb, konnte sich die NATO als von den Vereinigten Staaten dominierte Korporation mit vielen partikularen Interessen bislang nur darauf einigen, um jeden Preis mit der gewählten Strategie des Luftkrieges zu obsiegen. Mit der Fortdauer des Bombenkrieges sind sowohl die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel als auch das proklamierte Ziel, systematische schwere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, aus dem Blick geraten. Stattdessen kämpft das teuerste bürokratische Gebilde der Welt, das Militärbudget der Mitgliedsländer beläuft sich auf über 400 Mrd. US $ pro Jahr, um das eigene Überleben. Das wirklich Gefährliche an der verfahrenen Situation ist, daß die NATO nicht verlieren kann, auch wenn es notwendig werden sollte, sich militärisch noch weiter von den proklamierten Zielen zu entfernen und dabei selbst geradezu zwangsläufig nicht zu rechtfertigende Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

Eigentlich sollten wir aufgrund unserer eigenen Geschichte die politische Wirkungslosigkeit der Luftkriegsstrategie gegen eine in die Enge getriebene Diktatur besser als andere Nationen vorausgesehen haben. Noch bis vor wenigen Jahren konnte man im zerfallenen Ost-Berliner Scheunenviertel anhand von tausenden Einschußspuren an den Häuserwänden den aberwitzigen Häuserkampf am 3. Mai 1945 rekonstruieren. Deutsche Soldaten waren offensichtlich so in die Ideologie totaler Konfrontation eingebunden, daß sie in einem erbitterten und verlustreichen, gleichwohl sinnlosen Häuserkampf einen längst verlorenen Krieg selbst noch einen Kilometer vor seinem Ende weiterführten. Kapitulationsunfähigheit und pflichtbesessne Opfertodmentalität großer Teile der deutschen Wehrmacht bis in die letzten Kriegsmonate hatten noch an der Oder zu einem der größten Massengräber bei militärischen Operationen geführt. Daher sollte es aus deutscher Perspektive nicht überraschen, daß der serbische Nationalismus auch einem erheblich intensivierten auf "militärische" Ziele beschränkten Bombenkrieg, auch dann wenn er erhebliche Begleitschäden verursacht, sehr lange widerstehen wird.

Auch daß die serbische Bevölkerung Ursache und Wirkung der Eskalation im Kosovo auf den Kopf gestellt betrachtet, ist leicht nachzuvollziehen, wenn man den Ablauf der Ereignisse in die deutsche Geschichte projeziert. Stellen wir uns vor, wie das Nazi-Regime auf eine polnische Untergrundarmee zur Befreiung Oberschlesiens vom deutschen Joch im Jahre 1938 reagiert hätte. Durch eine ähnliche Brille haben die Serben das Aufkommen der UCK gesehen und betrachten die Unterdrückung im Kosovo als gerechtfertigt.

Fazit: Der Luftkrieg hat auf absehbare Zeit das herrschende Regime stabilisiert; Widerstand von innen heraus ist nicht zu erwarten; auch keine Verschwörung nach dem Muster des 20.Juli 1944. Vieles spricht dafür, daß auch ein Tyrannenmord nichts am Widerstand gegen ein NATO-Diktat ändern würde. Natürlich kann man sich vorstellen, daß eine unendliche Fortsetzung des Luftkrieges schließlich die Lebensgrundlagen der Bevölkerung in der Bundesrepublik Jugoslawien so nachhaltig zerstört, daß sich politisch geordneter Widerstand gegen die NATO-Bedingungen auflöst. Aber ist ein derartiges Szenario tatsächlich mit unseren Wertvorstellungen vereinbar? Denn das proklamierte Ziel, schweren Menschenrechtsverletzungen im Kosovo Einhalt zu gebieten, hätte sich völlig von der praktizierten Politik abgelöst. Es waren die schweren Menschenrechtsverletzungen serbischer Akteure, mit denen die Angriffshandlungen gegen einen souveränen Staat völkerrechtlich begründet wurden. Ergebnis fortgesetzter Bombardierung sind zwangsläufig immer umfangreichere Verletzungen der Menschenrechte Unschuldiger, ohne daß die Menschenrechte der ursprünglichen Zielgruppe durchgesetzt werden. Das Beharrungsvermögen der NATO, das sich in der sturen Fortsetzung des Luftkrieges ausdrückt, gerät gänzlich zum Selbsterhaltungsritual einer bürokratischen Korporation. Folgt man dieser Analyse, so kann es keine Alternative zur sofortigen Aufgabe der Luftkriegsstrategie ohne jede Gegenleistung der anderen Seite geben. Denn es gibt nur zwei legitime Möglichkeiten, entweder muß man die ethnische Säuberung durch dauerhafte Aufnahme der albanischen Bevölkerung des Kosovo in anderen Ländern als das geringere Übel sanktionieren oder man muß mit friedenserzwingenden Maßnahmen ausschließlich auf dem Territorium des Kosovo die Rückführung der albanisch-sprachigen Bevölkerung sicherstellen und die Sicherheit der serbischen Bevölkerung gewährleisten.

The American way of war

Die politischen Auseinandersetzungen in den Vereinigten Staaten um die zukünftige Militärdoktrin sind ein wesentlicher Faktor, der die internationale Gemeinschaft in diese Sackgasse geführt hat. Eine mächtige Lobby aus Militär, Rüstungsindustrie, den großen (militärischen) Forschungslabors, der Pentagon-Bürokratie und Abgeordneten, deren Wahlbezirke vom 300 Mrd. US $ Rüstungshaushalt profitieren, treibt unter dem Stichwort Revolution der militärischen Angelegenheiten (RMA = revolution of military affairs) eine auf Hochtechnologie beruhende Strategie voran, die auf ein automatisiertes Schlachtfeld zielt, das von entfernten Schaltzentralen gesteuert wird. Auf der Grundlage nahezu totaler Aufklärung durch Satelliten und andere Aufklärungsmittel sollen fein dosierbare, zielgenaue ferngesteuerte Waffen der Politik jede denkbare Abstufung militärischer Gewaltanwendung an jedem Ort der Erde ohne Zeitverzögerung bereitstellen. Dieses perfekte Drohpotential soll, nach Meinung der Verfechter, die Entstehung von militärischen Konflikten verhindern. Folgerichtig fordert man zusätzliche Forschungsmittel und höhere Beschaffungsetats, um die Bereitstellung derartiger Waffensysteme zu beschleunigen. Am unteren Ende soll die Doktrin durch neuartige zu entwickelnde nicht-tötliche Sprengköpfe auch für "präventive" politische Interventionen, wie die Verhinderung einer Massendemonstration, einsetzbar gemacht werden.

Diese Visionen, die das Kriegshandwerk auf die Rolle von "white-collar killern" , reduzieren wollen, die in der Endphase der Umsetzung dieser Doktrin ausschließich von amerikanischem Territorium agieren, werden zwischen den Teilstreitkräften der USA eifersüchtig und kontrovers diskutiert. Im Jargon der Luftwaffe heißt die neue Doktrin strategische Kontrolle. Man glaubt, daß bei Umsetzung in die Praxis mittelfristig nur noch die Luftwaffe benötigt wird. Der erstmalige non-stop Einsatz des B-2 Bombers (Stückpreis 2 Mrd. US$!) zum Abwurf von Bomben über Serbien von amerikanischem Boden aus, soll dies beweisen und damit mittelfristig auch die Stationierung von amerikanischen Soldaten im Ausland überflüssig machen. Nach der PR-Schau für die neuen zielgenauen, ferngesteuerten Waffen im Golfkrieg bedurfte es weiterer verbesserter Demonstrationen dieser neuen Doktrin, denn dem Kongreß war nicht entgangen, daß im Golfkrieg über 90 % der eingesetzten Bomben konventionelle Fallbomben ohne Zielsteuerung waren. Der Luftkrieg gegen Serbien wurde daher auch eine willkommene praktische Demonstration auf dem Weg zur angestrebten Doktrin, militärische Gewalt nur aus sicherer Distanz zum Einsatz zu bringen. Bei den gegenwärtigen Einsätzen kommt u.a. eine Rivalität zwischen der Luftwaffe und der Marine zum Tragen, während die Landstreitkräfte und die Marinelandetruppen eher ungeduldig, in jedem Falle aber schadenfroh auf ein Scheitern des hight-tech Szenario der Luftwaffe warten, um wiederum ihre Unverzichtbarkeit zu dokumentieren. Die industrielle Lobby in den USA und deren Vertreter im Kongreß setzen dabei eindeutig auf die kapitalintensive Luftrüstung, während die Marine eine große Lobby an den Werftstandorten hat. Gegenwärtig gehen der Luftwaffe bereits die einsetzbaren Marschflugkörper aus, während die Marine offensichtlich auf einen lange andauernden Beschuß der Bundesrepublik Jugoslawien eingerichtet ist.

Folglich herrscht bei den Luftstreitkräften bereits eine gewisse Panik. Sie versuchen seit Tagen mit riskanten Sichtflugangriffen auf bewegliche Bodenziele aus großer (sicherer) Höhe vor allem im Kosovo und zusätzlichen 300 Flugzeugen das Heft in der Hand zu behalten. Die Wahrscheinlichkeit von "Begleitschäden" und dem Treffen von falschen Zielen wird dadurch erheblich erhöht. Wie zunehmende Fehlangriffe zeigen, sind schnelle Jets nicht geeignet, um im Kosovo breit gestreut operierende Einheiten der jugoslawischen Streitkräfte und der Sonderpolizei sicher zu treffen. Denn im Katz und Maus-Spiel auf dem Boden des Kosovo, in dem sich Flüchtlinge und militärische Einheiten notwendig und häufig auch gezielt vermischt bewegen, sind die Piloten schneller Kampfjets bei der Bekämpfung von beweglichen Bodenzielen auf der Grundlage von eigener Sichtaufklärung überfordert. Da die Luftstreitkräfte einen großen Teil der die eindeutig militärischen Ziele in der Bundesrepublik Jugoslawien bereits "abgearbeitet" haben, ohne daß die erwartete Wirkung eingetreten ist, muß man die Palette der Ziele erweitern, was aber einerseits die Wahrscheinlichkeit von zivilen Schäden deutlich erhöht und andererseits eine zweifelhafte Erweiterung der Definition des Militärischen notwendig macht.

Für die Jagd nach einzelnen Panzern im Kosovo ist die amerikanische Luftwaffe nicht optimal gerüstet. Die Angriffshubschrauber des amerikanischen Heeres sind für diese Aufgaben optimiert, aber noch nicht verfügbar, weil es sich auch um einen Krieg für die langfristige Dominanz der Luftwaffe handelt. Mit dem zögerlichen Verbringen von Angriffshubschraubern (Appache) des amerikanischen Heeres nach Albanien wird der Krieg in eine qualitativ neue Phase treten. Mit dem baldigen Eintritt des Heeres in die Kampfhandlungen rückt einerseits der Bodenkrieg näher. Andererseits wird zum Leidwesen der Luftwaffenlobby, das Heer Gelegenheit haben, seine Unverzichtbarkeit zu demonstrieren. Immerhin ist es weniger wahrscheinlich, daß ein Hubschrauberpilot versehentlich einen Flüchtlingstreck angreift. Man wird daher bei der Bewertung von NATO-Aussagen sehr vorsichtig sein müssen, daß der Fehlangriff vom Mittwoch unvermeidbar war. Denn immerhin steht die Frage im Raum, daß vor dem Hintergrund militärbürokratischer Rivalität von Teilstreitkräften nicht die optimalen Kampfmittel zum Einsatz kommen.

Für die europäischen Teilnehmer dieses Krieges ist es wichtig zu verstehen, daß die Vereinigten Staaten mit fortdauernden Kriegshandlungen überall dort leben können, wo keine zentralen wirtschaftlichen Interessen involviert sind. Die einzige Bedingung lautet, daß die USA nicht auf der Verliererseite landen dürfen. Der lange andauernde Bürgerkrieg in El Salvador ist ein Beispiel für das zynisch begrenzte Engagement der USA. Bezogen auf das Kosovo hat es im amerikanischen Kongreß bereits deutliche Stimmen gegeben, die ein Disengagement der USA bei gleichzeitiger Aufrüstung der UCK als operatives Gegengewicht befürworten. Europäische Interessen werden langfristigen schweren Schaden nehmen, wenn man amerikanischen Vorstellungen von einer Sicherheitsordnung in Südosteuropa weiter folgt. Das amerikanische Kalkül, die Region durch Bereitstellung militärischer Verteidigungsfähigkeit für alle als souveräne Staaten anerkannte Zerfallsprodukte der kommunistischen Ära sicher zu machen, verkennt die Ursachen des Umschlages von Konflikten in bewaffnete Gewalt. Schließlich gilt es für Europa, den großen politischen Folgeschaden zu bedenken, den die als zynisch wahrgenommene Luftkriegsvorführung der USA (die in der Financial Times als Nintendo war on CNN beschrieben wurde) in Rußland auslöst. Eine klar beschränkte friedenserzwingende Maßnahme auf dem Boden hingegen würde aller Rhetorik zum trotz weniger langfristige Folgen in Rußland haben als die Wahrnehmung von Marschflugkörpern, die sich in einer destabilen Phase auch auf russisches Gebiet richten könnten. Als verbliebene militärische Supermacht können die USA mit einem dahinsiechenden Rußland leben, das auf der Grundlage manupulierten Nationalismus wieder rüstet. Europa hingegen wird sich nur dann gedeihlich entwickeln, wenn sich kooperative Strukturen mit dem Nachbarn im Osten entwickeln.

Militärische Sicherheitsgarantie und Demobilisierung der Region

Die nationalen Identitäten und ihre jeweiligen Mythen werden von konkreten Machtinteressen artikuliert und manipulativ genutzt. Verfügbare militärische Machtmittel werden zunächst in innergesellschaftlichen Machtkämpfen eingesetzt, die aber in dieser Region auf der Grundlage sich einander ausschließender nationaler Mythen nahezu zwangsläufig nach außen entwickeln. Die amerikanische Vorstellung, daß sich zwischen diesen Kleinstaaten militärische Gleichgewichte mit abschreckender Wirkung herstellen lassen, abstrahiert fahrlässig von der Disposition Machtkämpfe notfalls auch gewaltförmig auszutragen. Die daniederliegenden Ökonomien in dieser Region sind noch immer von korruptiver und krimineller Regulation, die international vernetzt ist, bestimmt.

Für das Heranführen an Europa bedeutet dies, daß die WEU oder eine andere europäische Formation eine Sicherheitsgarantie, abgesichert mit einer glaubwürdigen militärischen Kapazität zur Friedenserzwingung, für die südosteuropäische Region im Tausch gegen eine strikte Demobilisierung nationaler militärischer Kapazitäten abgeben muß. Weder können sich diese verarmten Kleinstaaten bei gleichzeitiger Aufrüstung so entwickeln, daß sie längerfristig in die Europäische Union aufgenommen werden können, noch ist ein Abbau der nationalen Mythen im Rahmen einer demokratischen Entwicklung denkbar, solange Sicherheit als ein militärisches Problem gesehen wird. Blickt man über den Tellerrand der täglichen Kriegsberichterstattung hinaus, so hat der Kosovo-Krieg das europäische Dilemma grell beleuchtet. Entweder wird die EU mit Riesenschritten außen- und militärpolitisch handlungsfähig oder Europa treibt in eine Phase tiefgreifender Destabilisierung, die ihren Ausgang von den Rändern nimmt, sich aber rasch und tief in die demokratischen Strukturen einfressen wird. Spektakulär wird diese Perspektive sichtbar, wenn man sich die Wahrscheinlichkeit politischen Terrorismus als Antwort auf ungelöste Probleme in Südosteuropa veranschaulicht. Aber auch weniger dramatische Veränderungen wie großer Emigrationsdruck und weitere Ausbreitung organisierter Kriminalität ausgehend von Südosteuropa werden den demokratischen Rechtsstaat in Europa destabilisieren.